Besser eine undurchdachte Lösung als gar keine Lösung – so lässt sich der derzeit in Begutachtung befindliche Vorschlag einer Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) zusammenfassen. Demnach sollen Gemeinden zur Vermeidung des toten Winkels per Verordnung Rechtsabbiegeverbote für LKWs ohne Abbiegeassistenten für ein gesamtes Ortsgebiet, Teile von Ortsgebieten oder näher bestimmte Gebiete erlassen können, wenn dies aufgrund der örtlichen oder verkehrsmäßigen Gegebenheiten nach dem Stand der Wissenschaft zur Erhöhung der Verkehrssicherheit oder aus anderen wichtigen Gründen geeignet erscheint.
Was grundsätzlich in der Sache vernünftig erscheint, entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung in mehrfacher Hinsicht als de facto undurchführbar. Dem Entwurf nach sollen die Gemeinden derartige Verordnungen im eigenen Wirkungsbereich gemäß § 94d StVO erlassen.
Gemeinden nicht eingebunden
Wären die Gemeinden in die Diskussion und Erarbeitung von Vorschlägen eingebunden worden, so wäre von Gemeindeseite sogleich eingebracht worden, dass Gemeinden auf Grundlage des § 94d StVO nur insoweit Verordnungen erlassen können, als es sich ausschließlich um Gemeindestraßen handelt. Hinsichtlich aller Landesstraßen innerhalb des Ortgebietes oder Teilen des Ortgebietes würden Verordnungen der Gemeinden gar nicht greifen. Denn hinsichtlich Landesstraßen auch innerhalb des Ortsgebietes sind nicht die Gemeinden zuständig, sondern die Bezirksverwaltungsbehörden, in deren allgemeine Zuständigkeit die Verkehrspolizei und die Erlassung von Verordnungen fällt (§ 94b StVO).
Abgesehen davon, dass sich überall dort eine Widersprüchlichkeit auftut, wo Gemeinden im Falle von Landesstraßen für das ganze Ortsgebiet Rechtsabbiegeverbote verordnen würden, schafft man durch diese Regelung eine geteilte Zuständigkeit: die Gemeinden wären für die Gemeindestraßen und die Bezirksverwaltungsbehörden wären für die Landesstraßen innerhalb des Ortsgebietes zuständig. Damit Gemeinden doch für alle Straßen innerhalb des Ortsgebietes zuständig werden, müsste diesen im Wege einer eigenen Verordnung der Landesregierung gemäß § 94c StVO die Erlassung von Rechtsabbiegeverboten auf Landesstraßen innerhalb des Ortsgebietes übertragen werden.
Weshalb daher nicht sogleich die allgemeine Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde beibehalten wird – diesbezüglich müsste lediglich die im Entwurf neu eingefügte Ziffer 4b in § 94d StVO (eigener Wirkungsbereich der Gemeinden) gestrichen werden – ist nicht nachvollziehbar. Hinzukommt, dass die Bezirksverwaltungsbehörde sogleich Strafbehörde und für die Vollziehung verantwortlich ist. Ob und inwieweit ein derartiges Rechtsabbiegeverbot, das nur für LKWs gilt, die keinen Abbiegeassistenten haben, überhaupt kontrolliert wird bzw. werden kann, müsste ebenso geklärt werden.
Unklare Formulierungen
Der Gemeinde Leid, des Sachverständigen Freud. Bemerkenswert, immens aufwendig und im Hinblick auf die Kundmachung einer derartigen Verordnung schlicht undurchführbar ist auch folgender Passus, der in den Entwurf aufgenommen worden ist: „Sofern dadurch der Zweck der Verordnung nicht gefährdet wird, sind einzelne Straßen, Straßenabschnitte oder Straßenarten vom Geltungsbereich der Verordnung auszunehmen“. Daraus folgt, dass die Gemeinde eine Verordnung erlassen kann, wenn diese aus bestimmten Gründen „geeignet erscheint“, sie aber Ausnahmen festlegen muss, wenn dadurch der Zweck der Verordnung nicht gefährdet wird. Demgemäß müsste für den Fall, dass eine Verordnung erlassen werden soll, jede einzelne Kreuzung und jeder einzelne Straßenabschnitt auf Herz und Nieren durch ein umfassendes Sachverständigengutachten geprüft werden (!).
Kundmachung schwierig
Problematisch wird auch die Kundmachung einer von der Gemeinde erlassenen Verordnung, gleich ob diese für das ganze Ortsgebiet oder nur für Teile desselben wirksam wird. Soll die Verordnung für das ganze Ortsgebiet Geltung haben, so wird diese gemäß § 44 Abs. 4 StVO mit den entsprechenden Vorschriftszeichen und der in diesem Fall erforderlichen Zusatztafel in unmittelbarer Verbindung mit dem Hinweiszeichen „Ortstafel“ gehörig kundgemacht – vorausgesetzt es gibt keine Landesstraßen oder aber den Gemeinden wurde von Seiten des Landes diese Aufgabe auch auf diesen Straßen übertragen. Wie aber die (zwingenden) Ausnahmen von dieser Verordnung (Straßen, Straßenabschnitte oder Straßenarten) kundgemacht werden sollen, ist wohl ein gut behütetes Geheimnis. Wenn auch nicht sinnvoll, müsste dies in Form einer Aufzählung auf der Zusatztafel an der Ortseinfahrt erfolgen.
Soll die Verordnung aber nur Teile des Ortsgebietes umfassen, werden die Gemeinden wirklich auf die Probe gestellt. Denn gemäß § 44 Abs. 1 StVO sind Verordnungen der Gemeinden durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen gehörig kundzumachen – dies würde aber bedeuten, dass an allen Kreuzungen (!) des Ortsteils die entsprechenden Verkehrszeichen aufgestellt oder Bodenmarkierungen angebracht werden müssten. Sollte sich die Verordnung nicht durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen ausdrücken lassen, so müsste diese – ob sinnvoll oder nicht – durch Anschlag auf der Amtstafel der Gemeinde kundgemacht werden (§ 44 Abs. 3 StVO). Wie auch in diesem Fall die (zwingenden) Ausnahmen kundgemacht werden sollen, spielt in Anbetracht all dieser Probleme ohnedies nur noch eine untergeordnete Rolle.
Wo darf der LKW noch rechts abbiegen?
Aber auch verkehrssicherheitspolitisch ist ein Rechtsabbiegeverbot „für ein gesamtes Ortsgebiet“ aber auch „für Teile von Ortsgebieten“ zu hinterfragen. Letztlich würde das darauf hinauslaufen, dass ein LKW nirgendwo rechts abbiegen dürfte und daher jedes Mal gezwungen wäre, drei Mal links abzubiegen um in jene Straße zu gelangen, in der er einbiegen wollte. Ob das der Verkehrssicherheit dienlich ist, darf durchaus in Zweifel gezogen werden, und auch, ob in der betreffenden Ortschaft die ausreichende Zahl an Kreuzungen zum Linksabbiegen überhaupt zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang ist auch zu betonen, dass eine Gemeinde immer in der Kritik stehen wird, egal was sie tut: Wird kein derartiges Verbot erlassen und es passiert etwas an einer Kreuzung, steht sie in der Kritik und muss sich womöglich auch mit zivil- und strafrechtlichen Haftungsfragen auseinandersetzen. Wird ein derartiges Verbot erlassen und es passiert etwas an einer anderen Kreuzung, steht sie ebenso in der Kritik.
Nicht unbedeutend ist in diesem Zusammenhang, dass an einzelnen Kreuzungen auch heute Abbiegeverbote verordnet und mit Straßenverkehrszeichen kundgemacht werden können – so gesehen bedürfte es gar keiner Regelung hinsichtlich des gesamten Ortsgebietes oder Teilen davon.
Trotz des politischen und medialen Drucks: Gerade weil es sich um ein höchst sensibles Thema handelt, sollte danach getrachtet werden, an sinnvollen Lösungen zu arbeiten.