Gemeindebund

Bundesländer

21.08.2019

Rumänien: Land vieler Herausforderungen und Chancen

Die Kommunalreise des Österreichischen Gemeindebundes führte eine Delegation von Bürgermeistern in eines der jüngsten EU-Mitgliedsstaaten. Im Fokus standen neben Terminen in der Hauptstadt Bukarest und Gespräche mit Bürgermeistern aus fast allen Regionen Rumäniens.

Der österreichische Gemeindebund besucht seit dem Jahr 2007 das jeweils vorsitzführende EU-Land, um dort in Gesprächen mit Gemeindevertretern und Politikern einen Blick über den Tellerrand zu werfen, neue Kulturen und die kommunalen Herausforderungen kennenzulernen. Dieses Mal ging es von 16. bis 19. Mai in den Osten nach Rumänien, das seit 2007 – gemeinsam mit Bulgarien – Mitglied der Europäischen Union ist.

Bukarest – pulsierende Metropole mit großem Verkehrsproblem

Schon bei der Ankunft in der Hauptstadt Bukarest erwartete die Delegation bestehend aus Kommunalvertretern eine pulsierende Metropole mit rund zwei Millionen Einwohnern und einem Verkehrschaos, gemixt mit Parkplatznot und zu vielen Fahrzeugen. Die gigantomanischen Prunkbauten der sozialistischen Ära Ceauᶊescus imponierten und sind auch gleichzeitig Symbol für die Überwindung des sozialistischen Regimes. Heute sind die meisten riesigen Gebäude, wie etwa das Parlament, das mit seinen mehr als 5.000 Räumen zweitgrößtes Verwaltungsgebäude der Welt ist, Sitz demokratischer Institutionen und damit wesentliche Orte der Gestaltung der rumänischen Zukunft.

Bei der Besichtigung des riesigen Parlamentsgebäudes erfährt man, wie selbstherrlich und weltfremd die frühere sozialistische Herrscherelite ihre Interessen durchgesetzt hat. Zur Errichtung des Palastes wurden teils historische Wohnhäuser mit rund 40.000 Wohnungen, ein Dutzend Kirchen und drei Synagogen abgerissen und Teile der Altstadt zwangsgeräumt.


Die Delegation des Österreichischen Gemeindebundes und der Bürgermeister von Mărăcineni.

Bukarest – „Paris des Ostens“

In Bukarest gibt es einen einzigartigen Architekturmix verschiedener Baustile, vom Klassizismus bis zur Plattenarchitektur des Kommunismus. Wegen seiner weitläufigen Boulevards und seinem Triumphbogen wird die Stadt auch als „Paris des Ostens“ bezeichnet. Arm und Reich liegen eng beieinander. Während im Villenviertel Häuser um mehrere Millionen Euro verkauft werden, verfallen ums Eck Wohngebäude, weil die Wohnungseigentümer nicht die finanziellen Mittel zur Renovierung aufbringen können.
Der Staat fördert seit Jahren zwar die Fassadenrenovierung der Wohnhäuser mit 70 Prozent. 30 Prozent müssen die Eigentümer aufwenden. Da die allermeisten Wohnungen der alten großen Wohnkomplexe noch aus sozialistischen Zeiten Eigentumswohnungen sind, müssen hunderte Eigentümer auf einen Nenner gebracht werden, weswegen viele Häuser schon lange auf ihre Renovierung warten. In manchen Gegenden scheint aber auch die Zeit seit 1989 stehen geblieben zu sein. So wurde etwa der Rohbau des riesigen geplanten Fernsehzentrums nach dem Umsturz nicht mehr fertiggestellt. Seit 30 Jahren warten dort Baumaterialien auf den Weiterbau.

Verwaltungsstruktur Rumäniens

Am zweiten Tag der Reise führte der Weg in die rund 120 Kilometer im Nordwesten von Bukarest liegende Gemeinde Mărăcineni, im Kreis (“judet”) Argeᶊ. Mit rund 5.200 Einwohnern und rund 21 km² Fläche ist Mărăcineni von der Größe her eine Durchschnittsgemeinde in Rumänien. Insgesamt gibt es in Rumänien 3.181 Gebietskörperschaften. Davon sind 2.862 Landgemeinden und der Rest Städte, also 319. Der Staat generell ist zentralistisch, ähnlich dem französischen Modell, organisiert. Die ursprünglich historischen Landesteile haben keine Funktion. Verwaltungseinheit über den Gemeinden sind die 41 Kreise („judet“) und die Hauptstadt Bukarest. „Bundesländer“, wie wir es in Österreich kennen, gibt es in Rumänien nicht.

Die Gemeinden sind überproportional von staatlichen Zuschüssen und Bedarfszuweisungen abhängig. Diese machen ca. 83 Prozent des durchschnittlichen Gemeindehaushalts aus. Gemeindeeigene Steuern tragen nur etwa 10,2 Prozent Anteil zum Budget bei. Für Investitionen in die Infrastruktur sind die Kommunen zu einem hohen Grad von EU-Fördermitteln abhängig. Die Ko-Finanzierungen seitens der EU werden in den Gemeinden klar und auch mit Stolz kommuniziert. So werden etwa bei den Bauvorhaben große Tafeln mit den Projektbeschreibungen, EU-Fahnen und auch der Summe der EU-Fördermittel angebracht.

Wirtschaftlich prosperierende Regionen

Zurück in unsere Gemeinde Mărăcineni. Der Bürgermeister der Gemeinde, Nicolae-Liviu Dascalu lud die Gemeindebund-Delegation gemeinsam mit dem Verband der Kommunen Rumäniens (ACoR) und acht Bürgermeistern aus fast allen Regionen des Landes zu einer kleinen Besichtigungstour in seine Gemeinde ein. Die Gemeinde Mărăcineni liegt in einer Region mit vielen großen produzierenden Unternehmen. So liegt in der angrenzenden Stadt Pitesti etwa der Hauptsitz des rumänischen Automobilproduzenten Dacia.

n der Gemeinde Mărăcineni selbst gibt es laut dem Bürgermeister rund 300 Unternehmen, die auch viele ausländische Investoren anziehen und dafür sorgen, dass es kaum Arbeitslose in der Gemeinde gibt. Wiewohl die Gemeinde ein Musterort in Rumänien ist, ergaben sich in den Gesprächen und Diskussionen mit den Bürgermeistern aus ganz Rumänien viele interessante Einblicke in die kommunalen Herausforderungen der rumänischen Kommunen.

Fokus der Gemeinden: Sozialleistungen 

So bietet die Gemeinde Mărăcineni als wichtige Sozialleistung für die arme Bevölkerung ein Kindertagesheim mit rund 50 Kindern, mehreren Betreuern, einer Psychologin und einer Krankenschwester, die die Kinder täglich untersuchen und betreuen. Dieses kostenlose Angebot können Kinder in Anspruch nehmen, die nur einen Elternteil und auch geringe finanzielle Mittel haben. Den „normalen“ Kindergarten, wie wir ihn kennen, gibt es auch. Der ist aber nicht völlig kostenlos.
5,5 Millionen Rumänen arbeiten im Ausland

Bei der Besichtigung des Kinderheimes ergaben sich auch viele Einblicke in die rumänische Gesellschaft. Während aus Mărăcineni – laut Bürgermeister – kaum Gemeindebürger im Ausland leben und arbeiten, sieht die Situation in anderen Gemeinden anders aus. Insgesamt arbeiten 5,5 Millionen Rumänen im Ausland. Sie überweisen auch rund 40 Milliarden Euro pro Jahr in die Heimat. Ein anderer Bürgermeister erzählte etwa, dass ein Drittel seiner Einwohner, insgesamt 1.000 Bürger im Ausland arbeiten und davon fast alle im Norden Deutschlands in einem Schlachtbetrieb. Für die Gemeinden ist diese Entwicklung eine große Herausforderung, wiewohl die Bürgermeister mit aller Kraft daran arbeiten, Unternehmen und Betriebe in ihre Region zu holen und damit den Bürgern Perspektiven zu ermöglichen. Ein großes Problem ist aber auch die Tatsache, dass viele Unternehmen den Mitarbeiten gerade einmal den viel zu niedrigen Mindestlohn zahlen. Der Austausch mit den Bürgermeistern aus Rumänien endete bei einem gemeinsamen späten Mittagessen mit traditioneller rumänischer Küche und rumänischer Musik.

Die österreichische Delegation zu Besuch bei Botschafterin Isabel Rauscher.

Interessante Einblicke in Rumäniens Kultur

Während die Bundesvorstandsmitglieder in Mărăcineni mit den Bürgermeistern aus ganz Rumänien diskutierten, besuchten einige Begleitpersonen die Hafenstadt Constanta am Schwarzen Meer. Die Stadt wurde von den Griechen im 4. Jh. v. Chr. gegründet. Zusammen mit Mamaia, gehört Constanta zu den beliebtesten und größten Badeorten Rumäniens. Nach der Besichtigung der Stadt und einer Weinverkostung in der „Dobrudscha“, dem Weinanbaugebiet zwischen der Donau und dem Schwarzen Meer, ging es wieder zurück nach Bukarest. Am Abend war die Reisegruppe des Gemeindebundes zum Empfang in der österreichischen Botschaft bei Botschafterin Isabel Rauscher geladen.

Burg „Dracula“ und Kronstadt

Am vorletzten Tag ging es für die Reisegruppe nach Transsylvanien zur berühmten Burg Dracula (Schloss Bran, Törzburg) und in die Stadt Brașov (dt. Kronstadt). Bevor es schließlich nach einer interessanten und eindrucksvollen Reise zurück nach Wien ging, besuchten die österreichische Delegation den rumänischen Senat im imposanten Parlamentsgebäude.

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