Im Bezirk Baden im niederösterreichischen Industrieviertel liegt die Marktgemeinde Teesdorf. Die 1.800-Einwohner-Gemeinde weist eine Geschichte auf, die sich, so wie ein starker Kräutertee, über eine lange Zeit hin gezogen hat.
Rinderzucht statt Teegenuss
Die Gegend rund um Teesdorf war schon sehr früh besiedelt, was zahlreiche Funde nachweisen. Bereits vor dem Beginn unserer Zeitrechnung hatte sich hier eine Bevölkerung niedergelassen. Der Name Teesdorf belegt die bäuerlichen Verhältnisse der damaligen Ansiedlung und hat überhaupt nichts mit Teekultur zu tun: Das keltische Wort „tees“ steht für einen Platz, an dem Hirten Rinderzucht betreiben.
Im Mittelalter mussten die ansässigen Bauern Abgaben aus ihrer Ernte an die Lehnsherren liefern und waren von diesen abhängig. Erst 1802 zog in die bis dahin bäuerliche Gemeinde die Industrie ein. Viel besser ging es der Bevölkerung dadurch nicht.
Was für eine Spinnerei!
Die Wiener Großhändler Freiherren von Puthon ließen im Jahr 1803 die k.k. privilegierte Baumwollspinnfabrik in Teesdorf erbauen. Die Teesdorfer „Spinnerei“ zählt zu den ältesten Spinnfabriken Europas und konnte durch ihre Gründung viele Arbeitsplätze in der kleinen Ortschaft schaffen.
Die Fabriksarbeiter waren elendigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Lange vor dem Aufkommen von Gewerkschaften oder Arbeiterkammern waren sämtliche Rechte dem Fabriksdirektor vorbehalten. Die Arbeiter lebten in notdürftigen Unterkünften und auch die Kinder mussten schon ab zwölf Jahren in der Fabrik arbeiten. Immerhin haben die Teesdorfer dem Fabriksbesitzer ihre erste Schule zu verdanken, die aber nur von den Fabrikskindern besucht werden durfte.
Das Experiment Steinfelden
Die Teesdorfer Fabriksarbeiter wussten sich zu helfen und gründeten 1856 einen Selbsthilfeverein mit dem Namen „Konsumverein der Arbeiter der Spinnfabrik“. Er war einer der ersten seiner Art in Mitteleuropa und legte den Grundstein für den späteren „Konsumverein Österreich“.
Nachdem der Gemeinde Teesdorf 600 Jahre nach ihrer ersten urkundlichen Erwähnung 1965 das Marktrecht verliehen wurde, musste sie dieses nur wenige Jahre später wieder einbüßen: 1972 wurden die Orte Teesdorf, Tattendorf, Günselsdorf und Blumau-Neurißhof zu einer Großgemeinde mit dem Namen Steinfelden vereinigt.
Das Experiment scheiterte und nur 16 Jahre später wurde die Großgemeinde Steinfelden auf Wunsch aller vier Ortsteile wieder getrennt. Dieser Zeit hat Teesdorf seinen Sitz als Schulgemeinde zu verdanken.
Aus alt mach neu
Für die Teesdorfer hat die alte Spinnerei hohen identitätsstiftenden Wert. Um so prägender war es, als das Industriegebäude nach mehreren Umbauten und häufigem Besitzerwechsel 1993 endgültig schloss. Um das Gebäude zu erhalten, ist es der Gemeinde Teesdorf gelungen, ihr „Wahrzeichen“ in einen denkmalgeschützten Wohnbau umzuwandeln. Heute befinden sich in der ehemaligen Industrieruine 69 geförderte Mietwohnungen und auf dem Dach gibt es einen Swimmingpool.
Mit der Vergangenheit verbunden
Wie sehr die Spinnfabrik Teesdorf geprägt hat, zeigt sich auch am Gemeindewappen. Darauf ist einerseits links das Wappen der Freiherren von Puthon zu sehen, die als Besitzer der Herrschaft Teesdorf die Spinnfabrik errichteten. Die rechte Schildhälfte zeigt drei auf goldenen Trägern ruhende Spindeln auf rotem Hintergrund. Sie stehen für den früheren Haupterwerb der Bevölkerung, die Spinnerei.
Auch abgesehen von der Spinnfabrik ist den Teesdorfern ihre Geschichte sehr wichtig: In der kleinen Marktgemeinde gibt es ganze drei Museen. Das Hermann Broch Museum, das Teesdorfer Heimatmuseum und den Franz Jonas Gedenkraum. Sie alle dokumentieren Ereignisse, die eng mit der Teesdorfer Vergangenheit verflochten sind.