Von den 455.000 pflegebedürftigen Menschen in Österreich werden derzeit 84 Prozent zu Hause gepflegt. Meistens ausschießlich von den Angehörigen (45 Prozent) oder mit Unterstützung mobiler Pflege- und Betreuungsdienste (32 Prozent). Nur 16 Prozent leben in Pflegeheimen. Die überwiegende Mehrheit der Pflegebedürftigen wünscht sich jedenfalls weiterhin ein Altwerden in den eigenen vier Wänden, so Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Pfegedienstleisters Hilfswerk.
Anslem forderte bei den diesjährigen Kommunalen Sommergesprächen in Bad Aussee die Politik daher auf, die Pflege und Betreuung zu Hause zu stärken, die in Österreich neben Hilfswerk von Volkshilfe, Caritas, Rotes Kreuz und vielen anderen Anbieten gewährleistet wird. Anselm verwies dabei auch auf den Kostenvorteil für die Volkswirtschaft. „Ein Platz im Pflegeheim kostet im Jahr 34.600 Euro pro Kopf, während mobile Dienste mit durchschnittlich 4.200 Euro pro Kopf zu Buche schlagen.“
Potenzial bei Mobiler Pflege ist noch nicht ausgeschöpft
Anselm ergänzte aber auch, dass in stationären Einrichtungen im Durchschnitt ein höherer Grad an Pflegebedürftigkeit vorliege, und es Betroffene gäbe, die jedenfalls im Pflegeheim am besten aufgehoben seien. „Dennoch könnten mehr Menschen zu Hause gepflegt und betreut werden, wenn das Angebot an mobilen Diensten flächendeckend und bedarfsgerecht sowie bestmöglich leistbar ausgebaut würde.“
Anselm: „Österreich braucht ‚echte‘ Pflegereform“
Österreich brauche daher eine „echte“ Pflegereform, die eine nachhaltige und solidarische Finanzierung gewährleiste und zugleich den Versorgungsbedarf in ländlichen Regionen mit gut ausgebildetem und vor Ort vorhandenen Personal abdecke, so Anselm.
Gerade mobile Dienste würden dabei die sozialen Strukturen am Land unterstützen. „Mobile Dienste integrieren und aktivieren die Ressourcen der Gemeinde, der Nachbarschaft, der Familie, des Betroffenen selbst. Sie fördern den Verbleib im Ort und tragen zum Erhalt sozialer und familiärer Netzwerke bei. Außerdem schaffen sie lokale Arbeitsplätze, insbesondere für Frauen, und haben positive Effekte auf die Regionalwirtschaft.“
Vernetzung mit medizinischer Versorgung wichtig
Zudem könnten laut Anselm mobile Dienste mit den Landärzten zusammenarbeiten und diese wirksam entlasten und als gemeinsame Teams mehr Effizienz und Effektivität in der Versorgung am Land erbringen.
Diese neue Form der Partnerschaft könne auch ein Beitrag zur Absicherung der medizinischen Daseinsvorsorge am Land sein. Denn in den nächsten zehn Jahren wird mehr als die Hälfte der derzeit rund 1.800 in Österreich niedergelassenen Landärztinnen und Landärzte mit Kassenverträgen in Pension gehen, wie Artur Wechselberger, Präsident der Tiroler Ärztekammer analysierte.
Medizinische Versorgung durch Pensionswelle in Gefahr
Die flächendeckende medizinische Versorgung in den ländlichen Regionen ist dadurch in Gefahr. Denn für frei werdende Landarztstellen gibt es immer weniger bis gar keine Bewerber. Immer weniger Jungärzte wollen auf’s Land.
Gründe dafür sind laut Wechselberger zum Beipiel die überdurchschnittliche Arbeitszeitbelastung und die verschwommenen Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben. Zudem hätten Jungmediziner oft keine Vorstellung vom Beruf am Land und Angst vor dem finanziellen Risiko einer Praxisgründung.
Vielfältige Lösungsansätze erarbeitet
Gemeinsam mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern entwickelten Wechselberger und Anslem in einem Workshop vielfältige Lösungsansätze, um Jungmediziner für den Arztberuf am Land zu begeistern. So brauche es endlich leistungsgerechte Vergütungssysteme, flexible Arbeitszeitmodelle, geregelte und zumutbare Bereitschaftsdienste am Wochenende und in der Nacht, Arztgemeinschaften und besonders die Sicherstellung bestehender und die Einrichtung neuer Hausapotheken sowie weniger Bürokratie und ungestörte ärztliche Therapiefreiheit.
Die Kommunen könnten zudem Jungärzte speziell bei der Organisation von Ordinations- und Wohnraum unterstützen. Auch könnte es kommunale Unterstützung für die Familien der Mediziner wie Kinderbetreuung und Jobmöglichkeiten für die Partnerin/den Partner geben.
Begeisterung für Landarztberuf schon im Medizinstudium wecken
Weiters müsse die Motivation für die Hausarzt- und Landarzttätigkeit schon im Medizinstudium entwickelt werden. Verpflichtende Praktika während des Studiums in einer Landarztpraxis, die Gleichstellung von Allgemein- mit Facharztmedizin sowie die Möglichkeit von Anstellungen bei anderen Ärzten könnten zur Motivation beitragen.
Wechselberger abschließend: „Die Zukunft der Landmedizin wird angesichts des steigenden Frauenanteils in der Medizin auch wesentlich davon abhängen, ob es gelingen wird, mehr Frauen für die Tätigkeit als Landärztin zu gewinnen. Aber auch männliche Angehörige des ärztlichen Berufsstandes sind nicht mehr bereit, so zu arbeiten, wie es die Generation vor ihnen gewohnt war. Deshalb müssen sich die Rahmenbedingungen, unter denen heutzutage eine Praxis geführt wird, grundlegend ändern.“