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29.06.2020

Besuchsbeschränkungen in kommunalen Senioren- und Pflegeheimen: Gratwanderung für alle Verantwortungsträger

Mit dem Sinken der COVID-19 Gefahr wurden die Schutzmaßnahmen, insbesondere die strikten Besuchsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen Schritt für Schritt gelockert. Die aktuellen Empfehlungen des Sozialministeriums von Mitte Juni sehen weitere Erleichterungen und damit einen großen Schritt in Richtung Öffnung der Einrichtungen vor.

Die in der COVID-19 Lage geltenden Einschränkungen in Senioren- und Seniorenpflegeheimen haben die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen und deren Angehörige besonders getroffen. Für kaum einen anderen Teil der österreichischen Bevölkerung stellten die Beschränkungen der sozialen Kontakte eine vergleichbare Belastung dar. In der ersten Wochen der Pandemie fanden diese Maßnahmen vor dem Hintergrund der zahlreichen Todesfälle in Pflegeinrichtungen in Norditalien, Spanien und Frankreich noch eine breite Akzeptanz. Es stand außer Zweifel, dass die betreuten Personen zu der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppe gehören, eine COVID-19 Infektion in diesen Einrichtungen stellt eine unmittelbare Lebensgefahr für die Bewohnerinnen und Bewohner dar.

Mit der zunehmenden Dauer der Besuchsbeschränkungen wurden auch die psychosozialen Folgewirkungen der Einschränkungen immer deutlicher sichtbar, gleichzeitig sank ab Anfang Mai mit der schrittweisen Rücknahme von Maßnahmen des Lock Downs in vielen anderen Bereichen unserer Wirtschaft und Gesellschaft die Akzeptanz vieler Betroffener, insbesondere auch deren Angehörigen.

Für die Betreiber der – in vielen Fällen kommunalen – Senioren- und Seniorenpflegeeinrichtungen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für welche der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner von Beginn der Pandemie an allererste Priorität hatte, wurde die COVID-19-Lage zusätzlich zu der hohen physischen und psychischen Belastung immer mehr zu einer rechtlichen Gratwanderung.

Trotz der Empfehlungen der zuständigen Ministerien und Aufsichtsbehörden, blieb die Letztverantwortung nicht nur in menschlicher, sondern auch in medizinischer und rechtlicher Hinsicht bei den Verantwortlichen dieser Einrichtungen sowie deren Bediensteten. Bei vielen Bewohnerinnen und Bewohnern stießen die Maßnahmen der Pflegedienst- und Heimleitungen zwar weiterhin auf Verständnis, gleichzeitig stieg aber auch der Druck von einzelnen Angehörigen, bis hin zu Drohungen gegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtungen.

Heimaufenthaltsgesetz regelt Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen

In diesen Wochen stand eine bundesgesetzliche Vorschrift besonders im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: das Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG, BGBl I 11/2004 idF BGBl. I 59/2017). Dieses ist die wichtigste Rechtsgrundlage für die Feststellung, ob eine Freiheitsbeschränkung in einem Pflegeheim zulässig ist. Dieses Bundesgesetz definiert als Freiheitsbeschränkung jede unfreiwillige Unterbindung der Ortsveränderung von Bewohnerinnen und Bewohnern mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen oder durch deren Androhung (§ 3 HeimAufG). In der Judikatur finden sich am häufigsten Fälle, denen eine bestimmte Medikation zu Grunde liegt. Betr. physische Einschränkungen  reichen die Beschwerden vom Blumentopf bis zu versperrten Türen; mit Letzteren haben sich die Höchstgerichte mehrmals auseinander gesetzt, allerdings ist nicht jedes „Hindernis“ eine Freiheitsbeschränkung: so hat der OGH in seiner Entscheidung vom 5.7.2017, Zl. Ob102/17a festgestellt, dass nicht jede verschlossene Tür eine Freiheitsbeschränkung i.S. des Heimaufenthaltsgesetzes darstellt: wenn den Bewohnern alternative und unbeschränkte Wege (z.B. durch leicht zu öffnende Nebentüren) zur Verfügung stehen, um die Einrichtung zu verlassen, mangelt es, so das Höchstgericht in dieser Entscheidung an einer, für eine Freiheitsbeschränkung vorauszusetzenden Erheblichkeitsschwelle.

Das HeimAufG definiert darüber hinaus nicht nur die Zulässigkeit von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, sondern auch das gerichtliche Verfahren, mit dem Zulässigkeit dieser Maßnahmen überprüft werden kann. Eine solche Überprüfung ist auf Antrag des Bewohners, dessen Vertreters, seiner Vertrauensperson oder des Leiters der Einrichtung möglich, zuständig ist das Bezirksgericht, in dessen Gerichtssprengel die Einrichtung liegt. Eine besondere Rechtsstellung im HeimAufG nimmt die Bewohnervertretung ein, die – ebenso wie die Vertrauensperson – über jede Freiheitsbeschränkung bzw. deren Aufhebung zu verständigen ist (§ 7 Abs. 2 HeimAufG).

In der Bandbreite der zusätzlichen Rechtsvorschriften und Empfehlungen neben dem HeimAufG, die von den Heimen bzw. ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rund um COVID-19 zu berücksichtigen waren – beginnend von den behördlich angeordneten Maßnahmen gem. Epidemie-Gesetz, über die Ausgangsbeschränkungen auf Grund des COVID-19-Maßnahmengesetzes bis hin zu den wechselnden Empfehlungen des Sozialministeriums und der Aufsichtsbehörden – war die organisatorische und pflegerische Tätigkeit in den Heimen eine ständige Gratwanderung, bei welcher die Verantwortlichen nahezu den gesamten Zeitraum auf sich allein gestellt waren. Um für die Bewohnerinnen und Bewohner den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten waren Einschränkungen der sozialen Kontakte sowie Änderungen der organisatorischen Abläufe im Heimalltag ohne Alternative. Nicht nur einmal wurden Einrichtungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zusammenhang mit diesen Maßnahmen in den letzten Wochen – auch öffentlich – angegriffen oder kritisiert, ohne dass dabei im Gegenzug deren Verantwortung für die Gesundheit und das Leben der ihnen anvertrauten Bewohner ausreichend gewürdigt wurde. Eine von vielen (bitteren) Lehren, welche die COVID-19-Krise mit sich gebracht hat.

– M. HUBER (26.06.2020)

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