Viele Flüchtlinge leben erst in Quartieren am Land. Wenn sie ihren Asylbescheid bekommen, zieht es die meisten in die Städte. Warum eigentlich? Integrationsexpertin Marika Gruber rät, die Leute zum Bleiben einzuladen.
Bewusst für Gemeinde entschieden
Da wäre der syrische Flüchtling, der ein professionelles Übersetzungsbüro betreibt hat, in einer Landgemeinde außerhalb von Villach. Ein Gastronom, der einst aus Jugoslawien fliehen musste und sich in Österreich als Tellerwäscher durchschlagen musste. Jetzt betreibt er nicht nur ein großes Hotel, sondern auch mehrere Sterne-Restaurants. Beide sind nicht freiwillig nach Österreich gekommen. Aber beide haben beschlossen, hier zu bleiben, in einer kleinen Gemeinde, und aus ihrer Situation das Beste zu machen.
Ob in Ihrer Gemeinde ein Asylquartier errichtet wird, haben Sie als Bürgermeisterin oder Bürgermeister meist gar nicht in der Hand. Das wird in der Regel auf Bundes- und Landesebene beschlossen, oft genug extrem kurzfristig und ohne große Rücksprache mit den Verantwortlichen vor Ort. Aber gerade kleine Landgemeinden, die gegen Abwanderung leiden, können das Beste daraus machen – sofern sie die Situation als mögliche Chance betrachten und nicht nur als Problem. Davon ist jedenfalls Marika Gruber überzeugt. Die Integrationsexpertin lehrt an der Fachhochschule Kärnten. Zu ihren Schwerpunkten gehört die Integration von zugewanderten Menschen in kleineren Gemeinden.
Großes Potenzial fürs Land
Gruber hat sich in einer Studie unter anderem mit der Lage von Flüchtlingen beschäftigt, die erst am Land untergekommen sind und später, nachdem ihnen Asyl gewährt wurde, in die Großstädte gezogen sind. Denn Satz „Wenn ich nur wieder zurückkönnte“, hat sie dabei öfter gehört. Gerade für Neuankömmlinge sind die großen Ballungszentren zunächst ein Magnet: Hier leben in der Regel andere Menschen aus ihrem Heimatland, hier winken gute Jobs und Zukunftsaussichten. Aber oft folgt die Ernüchterung rasch: In einer kleinen Gemeinde, wo man einander auf der Straße grüßt, fällt die Integration meist leichter als in der Anonymität einer Großstadt. Dazu kommen hohe Mieten, Hürden beim Mietvertrag und mitunter deutlich mehr Bürokratie.
Umgekehrt können Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, wertvolle neue Gemeindemitglieder werden – gerade auch in von Abwanderung bedrohten kleinen Orten. Mitunter kann das sogar zu einem Standortvorteil werden, wenn etwa in der Region dringend Arbeitskräfte mit internationalem Hintergrund gesucht werden. Und es ist durchaus auch ein Signal der Weltoffenheit, wenn im Dorfwirtshaus ein Kellner mit dunkler Hautfarbe den Touristinnen und Touristen das Jägerschnitzel serviert.
„Die Voraussetzung für Integration ist aber, dass die Menschen auch wirklich in Österreich bleiben möchten“, sagt Gruber. „Wenn man noch die Hoffnung hat, zurückzukehren, fällt das Ankommen schwer.“ Umgekehrt erleichtert ein Klima der Gastfreundschaft die Integration. Eine besonders gute Lösung hat etwa Bludenz in Vorarlberg gefunden: Dort gibt es regelmäßig „Wahrnehmungsspaziergänge“, bei denen Einheimische den Flüchtlingen die Stadt zeigen. Auch das gemeinsame Kochen oder Sprachtandems (man lernt gemeinsam die Sprache des jeweils anderen) hilft, Vertrauen aufzubauen und Freundschaften zu knüpfen.
Bürgermeister:in ist wichtige Autoritätsperson
Dem Gemeindeoberhaupt fällt hier eine besondere Rolle zu. Zum einen ist man besonders in einer kleinen Gemeinde erster Ansprechpartner, wenn es Probleme im Zusammenleben gibt. Vor allem aber sind Sie eine wichtige Autoritätsperson: Es macht in der Regel großen Eindruck, wenn Sie als Bürgermeisterin oder Bürgermeister persönlich im Quartier vorbeikommen und nach dem Rechten sehen. „Wie geht es euch? Kann ich bei etwas helfen?“: Solche scheinbar einfachen Fragen können viel bewirken. Erst recht, wenn später ein Angebot kommt: „Könnt ihr euch vorstellen, bei uns zu leben?“
Keine Frage: Immer wieder gibt es aus vielen verschiedenen Gründe Probleme mit der Integration, nicht alle Neuankömmlinge können oder wollen sich in die dörfliche Gemeinschaft einfügen. Aber wenn sich jemand im Ort wohl fühlt, schon Bekanntschaften mit Einheimischen geschlossen hat und bereit ist, sich einzubringen, könnte das eine Bereicherung sein. Eine offen ausgesprochene Einladung von oberster Stelle kann dann den Ausschlag geben.
Was braucht es, um zu beiben?
Vorausgesetzt, einige Faktoren stimmen. Denn um eine Existenz aufbauen zu können, braucht es einen Job, eine Wohnung und oft auch eine Kinderbetreuung. „Das ist vor allem für Frauen wichtig, die Deutschkurse besuchen“, sagt Gruber. Wer sich um quengelnde Kinder kümmern muss, kann kaum Grammatik und Vokabeln büffeln. Wohnraum lässt sich in kleinen Landgemeinden mit viel Leerraum oft mit etwas Fantasie organisieren. Auch bei den Arbeitsmöglichkeiten sieht es derzeit insgesamt recht gut aus. Man dürfte, betont Gruber, nicht den Ehrgeiz und den Fleiß vieler Neuankömmlinge unterschätzen: „Er entsteht vielfach aus dem Gefühl, als Zugewanderter viel mehr leisten zu müssen.“
-REDAKTION
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