Kurz vor der Beschlussfassung gab der grüne Koalitionspartner überraschend bekannt, einer Strategie ohne ein verbindliches 2,5-ha-Ziel die Zustimmung zu verweigern. Der Beschluss der Bodenstrategie durch die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) ist damit vorerst geplatzt.
Detailliertes Modell ausgearbeitet
Die ÖROK arbeitete seit Herbst 2021 an einer Bodenstrategie. Im Rahmen dieser Arbeiten wurde – auch unter Beteiligung der „grünen“ Bundesressorts – intensiv über den künftigen Umgang mit der Ressource Boden diskutiert und verhandelt.
Herausgekommen ist ein knapp 60-seitiges Dokument, das vier generelle Ziele, 17 einzelne Ziele und 44 Maßnahmen für eine substanzielle Reduktion der Flächeninanspruchnahme enthält. Zudem wurde im Zuge der Arbeiten an der Bodenstrategie ein neues Modell für die Erfassung der Flächeninanspruchnahme entwickelt und fachlich abgestimmt.
In einer bisher nicht verfügbaren Genauigkeit liefert dieses Modell erstmals die Basis für ein österreichweit einheitliches Monitoring der Flächeninanspruchnahme. Es bezieht in integrativer Weise alle relevanten und regelmäßig aktualisierten öffentlichen Verwaltungsdaten von Bund und Ländern zur Bodenbedeckung und Landnutzung mit ein.
Gegenstand der Verhandlungen in der ÖROK war ebenso das heikle Thema der quantitativen Zielwerte und Flächenkontingente.
Mittels überörtlicher Schwellenwerte soll vorgeben werden, wie viel Bauland künftig maximal neu gewidmet werden darf. Ausgehend vom 2,5-ha-Ziel des Regierungsprogramms wurden darüber intensive Gespräche geführt.
Mangels einer für das gesamte Bundesgebiet einheitlichen Datenlage zum Bodenverbrauch war eine sachliche Diskussion dazu jedoch vorerst nicht möglich. Erst die vom Umweltbundesamt aufgrund des neu entwickelten Modells zur Flächeninanspruchnahme erhobenen Daten bieten die Grundlage für diesbezügliche Verhandlungen.
Derzeit ist das Umweltbundesamt noch mit den Erhebungen für eine vollständige Datenlage beschäftigt. Um dennoch innerhalb des gesetzten Zeitrahmens von einem Jahr eine Bodenstrategie vorlegen zu können, entschied sich die ÖROK daher, das Thema Zielwerte nach Vorliegen der weiteren vom Umweltbundesamt erhobenen Daten im Rahmen eines Aktionsplans erneut anzugehen. Diese Vorgangsweise wurde nunmehr bekanntlich vom grünen Koalitionspartner abgelehnt.
Als Ergebnis der Sitzung der ÖROK vom 20. Juni 2023 soll deshalb nun in einer neuen Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern von Bund und Ländern sowie Gemeinde- und Städtebund, das 2,5-ha-Ziel baldigst einer Klärung zugeführt werden.
Einheitliche Datenlage als Voraussetzung
Ob und inwieweit diese Gespräche konstruktiv verlaufen werden, wird wesentlich vom Vorliegen umfassender und vollständiger Daten zur Flächeninanspruchnahme abhängen. Eine einheitliche Datenlage für das gesamte Bundesgebiet stellt eine unabdingbare Voraussetzung dar.
Mit dem im Rahmen der Arbeiten zur Bodenstrategie entwickelten neuen Modell wurden die Grundlagen dafür geschaffen. Bislang liegen die Daten zum Status quo der Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Verkehr für das Jahr 2022 vor.
Demnach beträgt die Flächeninanspruchnahme in Österreich im Jahr 2022 5.253 km2. Das entspricht rund sechs Prozent der Landesfläche und 16 Prozent des Dauersiedlungsraums. Sie setzt sich zu einem Drittel aus Verkehrsflächen (1.719 km2) und zu zwei Dritteln aus Siedlungsflächen (3.534 km2) zusammen.
Aber nicht nur die Flächeninanspruchnahme, sondern auch die Versiegelung ist von Interesse. Darunter ist die 100-Prozent-Abdeckung des Bodens mit einer wasser- und luftundurchlässigen Schicht (z.B. Asphalt- oder Betonflächen) zu verstehen. Von der gesamten in Anspruch genommenen Fläche sind in Österreich durchschnittlich rund 55 Prozent versiegelt, das sind 2.909 km2.
Die Daten zur Flächeninanspruchnahme werden in diesem Jahr noch um Flächen für Freizeit- und Erholungszwecke sowie Ver- und Entsorgung und um die für Freiflächenphotovoltaik- sowie Windkraftanlagen genutzten Flächen ergänzt. Ebenso werden noch detaillierte Daten zur Versiegelung ermittelt.
Wachsende Bevölkerung braucht Platz
Eine Zielwertdebatte muss ferner die verschiedenen Interessen und mögliche Zielkonflikte umfassend berücksichtigen. An dieser Stelle sei unter anderem auf die steigende Bevölkerungszahl hingewiesen. In den Jahren von 1960 bis 2023 stieg die Einwohnerzahl von 7,05 Millionen auf 9,1 Millionen.
Es ist naheliegend, dass mehr Einwohner mehr Raum für Wohnen, Schule, Freizeit, Arbeit etc. benötigen. Wenn auch der Bedarf an zusätzlichem Raum beispielsweise über leer stehende Flächen, Brachflächen oder über Verdichtungsmaßnahmen gedeckt werden soll, wird es ohne die Inanspruchnahme neuer Flächen nicht gehen.
Ebenso wird es eines klaren Bekenntnisses aller Gebietskörperschaften hinsichtlich leistbaren Wohnens bedürfen. Schon jetzt droht aufgrund von Teuerung und steigenden Zinsen und der daraus resultierenden geringeren Bautätigkeit eine Wohnungsknappheit. Eine Restriktion der Flächen steht unweigerlich in einem Spannungsfeld zu leistbaren Wohnen.
Geringeres Flächenangebot macht Wohnen teurer
Weniger zur Verfügung stehende Flächen werden die Preise für Grundstücke und Immobilien nach oben treiben. Die dann noch verfügbaren Flächen werden überdies stärker mit den verschiedenen Nutzungen konkurrieren.
Neben Wohnen, Arbeit und Freizeit üben mittlerweile zusätzlich die erneuerbaren Energien Druck auf weitere Flächeninanspruchnahme aus. Ohne zusätzliche Flächen insbesondere für Photovoltaik- und Windkraftanlagen wird die Energiewende andererseits nicht zu schaffen sein.
Diese wenigen Beispiele lassen erahnen, mit welchen schwierigen Fragestellungen die neue Arbeitsgruppe konfrontiert sein wird. Soll das Pendel zum Beispiel mehr in Richtung leistbares Wohnen oder doch eher für die Flächenreduktion ausschlagen?
Zielwertfestlegung wird nicht reichen
Der Österreichische Gemeindebund bekennt sich weiterhin zu einer notwendigen Reduktion der Flächeninanspruchnahme in Österreich.
Entgegen der Kritiker wird es mit einer bloßen Zielwertfestlegung aber nicht getan sein. Zum einen müssen sich der Bund und die Länder gemeinsam mit den Gemeinden und Städte zu den mit Zielwerten und Flächenkontingenten verbundenen Auswirkungen und Folgen bekennen.
Dafür bedarf es eines gemeinsamen Schulterschlusses, wie mit den verschiedensten zukünftigen Entwicklungen – angefangen von der Bevölkerungszunahme bis hin zu den erneuerbaren Energien – bei einer eingeschränkten Verfügbarkeit von Flächen künftig umgegangen werden soll.
Zum anderen braucht es umsetzbare und gerechte Lösungen für das „Herunterbrechen“ eines bundesweiten Zielwertes auf die Länder und Gemeinden. In den kommenden Verhandlungen wird es daher notwendig werden, realistische Zielwerte einzufordern, die für alle Gebietskörperschaften praktikabel und durchführbar sind.
Denn am Ende des Tages werden die Gebietskörperschaften an den gesetzten Zielwerten gemessen werden. Und hier sollten sie sich trotz des Zeitdrucks nun keine Blöße geben.
– M.PICHLER ist Jurist im Österreichischen Gemeindebund
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