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Bildung

05.09.2023

Das waren die Kommunalen Sommergespräche 2023

Am 31. August und 1. September fanden in Bad Aussee die 18. Kommunalen Sommergespräche statt. Unter dem Motto „Unsere Welt. Zwischen Solidarität und Resilienz.“ luden der Österreichische Gemeindebund und die Kommunalkredit zu einem offenen Austausch über wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen für Infrastruktur und Politik.

Der ehemalige deutsche Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel trat als Eröffnungsredner bei den diesjährigen Kommunalen Sommergesprächen auf. In seinem Impuls betonte er: Die großen Menschheitsherausforderungen unserer Zeit sorgen aktuell für das Gegenteil von Solidarität. Überall nimmt der Nationalismus zu. Mit Hinblick auf die wirtschaftliche Situation Europas meinte Gabriel: „Der europäische Binnenmarkt ist für die Welt interessant. Wir müssen daher pragmatischer werden beim Umgang mit der Welt.“  Zum Abschluss gab Gabriel noch einen Tipp mit auf den Weg: „Wir sollten nicht ausschließlich normativ in die Welt gehen und anderen Ländern sagen, was sie zu tun haben, wenn wir zusammen überleben wollen.“

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr gewährte bei seinem Impuls einen Einblick in die aktuelle wirtschaftliche Lage, Trends sowie wichtige Schritte für eine Verbesserung des Standorts Österreich. Die wichtigste Botschaft: Unsere Wirtschaft in Einklang bringen mit der Weltwirtschaft. Ein struktureller Arbeitskräftemangel stelle aktuell die größte Gefahr für den Standort Österreich dar, so der WIFO-Chef. Die Lösung sei nicht einfach: „Ein Maßnahmenmix wird notwendig sein.“ Beispielsweise könne man den Arbeitskräftepool aus dem deutschsprachigen Raum nutzen und grenzübergreifend arbeiten. Die Entwicklung der Inflation sieht Felbermayr nicht sehr optimistisch. Die Konsequenzen werden auch für die Gemeinden deutlich spürbar sein. Zum Abschluss betonte Felbermayr: „Für Gemeinden ist jetzt angesagt: öffentliche Investitionen vorziehen, auch Altbauten sanieren. Derzeit würde eine Belebung der Investitionen der gesamten wirtschaftlichen Situation sehr helfen.“ Hier brauche es auch Förderungen vom Bund.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr und Deutschlands Außenminister a.D. Sigmar Gabriel zählten zu den Highlights des ersten Tages der KSG 2023. Bild: Marschik/Gemeindebund

Im Anschluss an ihre Impulse diskutierten Sigmar Gabriel und Gabriel Felbermayr auf der Bühne über die Lage Europas in der Welt, die sinkende Bedeutung des europäischen Binnenmarktes und mögliche Lösungsansätze. Felbermayr ist überzeugt: „Es braucht ein Mitnehmen der kleineren, wirtschaftlich schwächeren Länder.“ Der WIFO-Chef plädierte für Solidarität innerhalb Europas, ansonsten sinke die wirtschaftliche und weltpolitische Relevanz. Sigmar Gabriel fügte dem einen aktiven Handlungsaufruf hinzu: „Europa muss jetzt Entscheidungen treffen, damit die Wirtschaft attraktiv bleibt.“ Dafür brauche es innovative Lösungen und ein Bekenntnis, Risiken einzugehen. Investitionen auf jeder Ebene seien wichtig. „Jede Investition, die den lokalen Standort stärkt, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Nachbarländer“, so Gabriel.

Bernd Fislage, Vorstandsvorsitzender der Kommunalkredit Austria und Kooperationspartner der Kommunalen Sommergespräche in Bad Aussee ging in seinem Impulsvortrag auf die Frage ein, wie wir die Welt ein Stückchen besser machen können. Die Fakten für die grüne Transformation liegen für ihn auf der Hand, die Frage sei nur, reicht die Transformation aus? „Mir fehlt Dynamik und Kraft. Wir brauchen mehr davon“, sagte Bernd Fislage. Daher appellierte der Vorstandsvorsitzende in seinem Impulsvortrag an die Entscheidungsträger:innen und Partner:innen, sich aktiv an der grünen Revolution zu beteiligen.

Bei der Podiumsdiskussion zum Thema Netze und Infrastruktur mit APG-Vorstand Gerhard Christiner, Energie-Steiermark-CFO Martin Graf, OMV Hydrogen & CCU-Leiter Sorin Ivanovici, Austrian Gas Grid-Vorstand Bernhard Painz und OX2-Chef Paul Stormoen wurde über die aktuell brennendsten Themen in der Daseinsvorsorge diskutiert. Die Gäste waren sich einig: Es brauche einen Schulterschluss für die Energiewende. Stromnetze müssen ausgebaut werden, sonst bringt all der erneuerbar erzeugte Strom nichts. Forciert werden müsse vor allem auch der rasche Ausbau der Windkraft und der zukunftsträchtigen Wasserstoff-Infrastruktur. Zum Thema Bodenverbrauch wurde auch auf die Interessenskonflikte hingewiesen: Für den Infrastruktur-Ausbau wird es Flächen brauchen. Man dürfe Bodenverbrauch nicht gegen nachhaltige Energie- oder Infrastruktur-Lösungen ausspielen. Die Gemeinden sind hier an vorderster Front. Stattdessen brauche es viel Kooperation. Die Panel-Teilnehmer betonten: Es brauche einen Abbau der Überregulierung in der Verwaltung.

Das Panel zum Thema Nachhaltigkeit und Resilienz beinhaltete mehrere Vorbilder für innovative und zukunftsorientierte Lösungen. Der Landwirt und Erneuerbare-Energien-Pionier Franz Dorner erzählte von seinem steinigen Weg zu einem nachhaltigen Energieprojekt, das mittlerweile 580 Haushalte mit Strom versorgt. Die Unternehmerin Gabriela Maria Straka, die unter anderem die Nachhaltigkeitsagenda der Brau Union Österreich leitet, sieht die Betriebe in der Verantwortung. Theresa Mai von Wohnwagon erzählte von neuen Wohnformen, die bereits umgesetzt werden und viele Potenziale bündeln. Hermann Erlach von Microsoft Österreich hob das Potenzial von Digitalisierung für Nachhaltigkeitsprojekte hervor. Der Tenor der Diskussion: Gemeinden können Vorbilder sein, lokale Kooperationen stärken, Potenziale aufzeigen und Akteure vernetzen. Die Betriebe müssen sich mit Gemeinden zusammenschließen, um Role Models bei Nachhaltigkeitsprojekten zu werden.

Das Panel zum Thema Nachhaltigkeit und Resilienz (v.l.): Theresa Mai von Wohnwagon, Hermann Erlach von Microsoft Österreich, Moderator Meinrad Knapp, Landwirt und Erneuerbare-Energien-Pionier Franz Dorner und Unternehmerin Gabriela Maria Straka (Brau Union Österreich). Bild: Marschik/Gemeindebund

In einer Diskussion zum Thema Wirtschaft und Arbeitsmarkt diskutierten die Teilnehmer:innen Kurt Bernegger (Bernegger GmbH), Gabriel Felbermayr, Autor Martin Gaedt, Unternehmerin und Autorin Lena Marie Glaser und Post-Generaldirektor-Stv. Walter Oblin über notwendige Veränderungen in der Arbeitswelt. Zu den heiß diskutierten Themen zählte die Frage: 4-Tage-Woche – ja oder nein? Einig waren sich alle, das sich etwas ändern müsse am Arbeitsmarkt, um mit den Entwicklungen der Zeit mitzugehen.

Gemeindebund-Vizepräsident:innen Andrea Kaufmann und Erwin Dirnberger reflektierten im Gespräch mit Moderator Meinrad Knapp die aktuellen Herausforderungen in den Gemeinden. Von der Energiewende, über die Personalprobleme bis hin zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Gemeinden waren sich die beiden Vertreter:innen des Österreichischen Gemeindebundes einig: Solidarität wird in den Gemeinden vor Ort gelebt und wird besonders in Krisenzeiten besonders sichtbar und spürbar.

In den Foren wurde dieses Jahr über die Themen Personalmanagement, neue Strukturen des wirtschaftlichen Denkens zwischen Regionalität und Resilienz, Förderungen sowie Infrastrukturen der Zukunft diskutiert. Detaillierte Bereichte über die Diskussionen in den Foren finden Sie in Kürze auf www.sommergespraeche.at.

v.l.: Kommunalkredit-Vorstand Bernd Fislage, Gemeindebund-Vizepräsident Erwin Dirnberger, Staatssekretärin Claudia Plakolm, Kardinal Christoph Schönborn, Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel und Bad Aussee’s Bürgermeister Franz Frosch. Bild: Marschik/Gemeindebund

Der zweite Tage der Kommunalen Sommergespräche wurde vom ehemaligen Vizekanzler der Republik Österreich Wilhelm Molterer eingeleitet. Er ging in seinem Impuls auf die vielen Herausforderungen der europäischen Union ein. Wesentlich sei, dass der Klimawandel nicht das einzige Thema ist. Man müsse den Klimawandel in ein größeres Ganzes einbetten. Die globale Ordnung verändert sich, wobei Molterer auf die BRICS-Staaten verweist. Für die Energiewende braucht die öffentliche Hand kreative Finanzlösungen, wie sie das Geld einsetzt.

Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier präsentierte in seinem Vortrag die Erkenntnisse aus einer Studie zum politischen und freiwilligen Engagement der Jugend in Österreich. Er appellierte an die Politik, das Vertrauen der Jungen wiederzugewinnen. Um die Jugend wieder für das Ehrenamt zu motivieren, müsse man aber weg von alten Strukturen, und stattdessen das anbieten, was die Menschen bewegt. Viel Potenzial gebe es etwa bei jungen Frauen, die gelte es mehr anzusprechen, so Heinzlmaier. Insgesamt gebe es sehr viel Interesse und Potenzial bei der Jugend, sie für Politik und Ehrenamt zu gewinnen.

Bundesrats-Präsidentin Claudia Arpa führte in einer Videobotschaft mehrere positive Beispiele der Jugendpartizipation in der Politik an, wie beispielsweise Jugendgemeinderäte. „Es liegt an uns, den Raum für die Mitsprache von jungen Menschen zu schaffen. Um eine richtige Beteiligung zu erzielen, müssen wir mit den Jungen sprechen“, so Arpa. Auch kontroversen Meinungen müsse man ein Forum geben, meinte sie. „Gerade Gemeinden zeigen: Politik passiert nicht irgendwo weit weg, sondern unmittelbar vor der Haustüre“, so Claudia Arpa.

In einer Diskussion zum Thema Demokratie und Gesellschaft appellierte der Philosoph Andreas Urs Sommer an die Kommunen, die Bürgerinnen und Bürger aktiv zu beteiligen und dadurch Demokratie zu fördern. Bundesschulsprecherin Flora Schmudermayer erzählte von ihrer Erfahrung, als junge Frau in der Politik aktiv zu sein. „Wichtig ist, den eigenen Wirkungsbereich zu sehen und in diesem Wirkungsbereich aktiv zu gestalten“, so Schmudermayer. Die Jugend nehme die Politik als großes Wort wahr, das müsse die Politik aufbrechen und für die jungen Menschen greifbar machen. Hier sieht die Bundesschulsprecherin besonders in den Gemeinden großes Potenzial. Daniel Landau von YesWeCare warnte mit Hinblick auf die gesellschaftlichen Nachwirkungen von Covid davor, Menschen in Gruppen zu spalten, aber auch Gräben zuzuschütten. Bestehende Unterschiede oder Meinungen müsse man sehr wohl anerkennen. Er appellierte daran, im Bildungssystem mehr Raum für Demokratiebildung und wertschätzendes Miteinander einzuräumen.

Kardinal Christoph Schönborn war zum ersten Mal Gast bei den Kommunalen Sommergesprächen. Er nützte seinen Impuls, um auf die unsichtbaren Banden zwischen Gemeinden und Pfarren einzugehen. Auch für ihn ist Kommunalpolitik am nächsten dran an der Realität der Menschen. In den letzten Jahrzehnten hat sich auch im Pfarrleben viel getan. Waren früher Pfarren und Gemeinden nahezu deckungsgleich, ist die Pfarre heute oftmals einer von vielen Vereinen in der Gemeinde. Den Kardinal beschäftigt ein Thema, das auch bei den Sommergesprächen oft diskutiert wurde: die Frage nach dem Sinn. Beim Blick in die Zukunft ist er zuversichtlich, weil er an die Regenerationskraft der Generationen glaubt.

Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ging in seinem Impulsvortrag auf das europäische Wertesystem ein. „Wir Europäer müssen uns ein wenig davon verabschieden, zu glauben, dass unser eurozentrisches Bild die Sichtweise der ganzen Welt ist“, so Schüssel. Die Welt sei heute eine andere, die Zeiten haben sich geändert. In diesem Umbruch stelle sich immer mehr die Frage, „wo steht da eigentlich Europa“ und „wo wollen wir als Europa hin?“ Alle großen Ziele für Europa seien nur im Verbund aller politischen Ebenen von Bund, Land und Gemeinden zu erreichen, meinte Wolfgang Schüssel abschließend in seinem Impuls und er appellierte an alle Entscheidungsträger, diese Aufgabe und Verantwortung gemeinsam anzupacken.

Bild: Marschik/Gemeindebund

Zum Abschluss diskutierten Kardinal Christoph Schönborn, Staatssekretärin Claudia Plakolm, Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier über Resilienz und Solidarität in Gemeinden. Die Staatssekretärin zeigte sich sehr optimistisch über das Engagement der jungen Menschen und betonte die Bedeutung von Ehrenamt und Dorfgemeinschaften. Kardinal Schönborn unterstrich die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“, also jene Menschen, die als Kitt fungieren und die breite Solidarität im Land leben und vorantreiben. Für diese brauche es mehr Wertschätzung. Wolfgang Schüssel vertritt die Meinung: „Die Jungen müssen heran. Wir müssen die Jugend mitgestalten lassen.“ Bernhard Heinzlmaier dazu: „Die Jugend ist pragmatisch und sie will mitreden.“ Staatssekretärin Plakolm hob auch die Gemeinde als jenen Ort hervor, wo junge Menschen sich aktiv einbringen können und bedankte sich für das Engagement. Die Podiumsteilnehmer schlossen mit einem Appell an ein solidarisches Miteinander über Generationen hinweg.

Weitere Details zu den Vorträgen und Fotos finden Sie  auf www.sommergespraeche.at. Auf der Facebook-Seite des Österreichischen Gemeindebundes können Sie die Aufzeichnung der Impulsreferate und Podiumsdiskussionen jederzeit nachschauen.

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