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Gesundheit

15.02.2024

Was Kommunalpolitiker für ihre mentale Gesundheit tun können

Die systemische Organisationsberaterin Viktoria Lanthier vom Institut für Vitalpsychologie spricht im Interview über mentale Herausforderungen, denen Kommunalpolitiker ausgesetzt sind. Dabei geht es um den Arbeitsalltag eines Bürgermeisters, die Auswirkungen von zu vielen Herausforderungen auf die mentale Gesundheit, generelle Einflussfaktoren auf die mentale Gesundheit von Politikern, die Ursachen von Stress im Körper und den Umgang mit dem Druck, auf vielen Hochzeiten tanzen zu müssen. Lanthier gibt Tipps, wie Politiker eine gesunde Balance zwischen Anspannung und Entspannung finden und ihre mentale Gesundheit aufrechterhalten können.

Dutzende Mails beantworten, Anrufe entgegennehmen, von Veranstaltung zu Veranstaltung hetzen und eventuell noch einem Zweitjob nachgehen. So sieht der Arbeitsalltag eines Bürgermeisters aus. Für Körper und vor allem für den Geist hört sich das ja alles andere als gesund an. Andererseits raten uns viele Wissenschaftler oft auch, das Gehirn regelmäßig auf Trab zu halten. Was stimmt denn nun eigentlich?

Viktoria Lanthier: Prinzipiell wissen wir aus der psychologischen Forschung, dass wir Menschen Lernwesen sind. Vor Herausforderungen gestellt zu werden ist eine Möglichkeit, unser Können unter Beweis zu stellen und bietet die Chance, an ihnen zu wachsen. Das hält nicht nur unseren Geist fit, sondern wird auch mit den entsprechenden Glückshormonen belohnt, wenn wir die an uns gestellten Aufgaben bewältigen. Allerdings kam bereits Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ zu einem wesentlichen Schluss, der auch für das Thema der Herausforderungen gilt: zu viel vom Selben ist für uns Menschen auf Dauer nicht gesund.

Nun lässt es sich leider nicht vermeiden, dass wir immer wieder in Phasen geraten, in denen wir uns vielen Herausforderungen stellen müssen. In solchen Situationen ist es hilfreich, sich unsere mentale Gesundheit auf einem Kontinuum zwischen Anspannung und Entspannung vorzustellen, auf dem wir wie ein Pendel hin und herschwingen: die Phasen großer Anspannung durch Herausforderungen sind in Ordnung, allerdings sollten wir uns im Anschluss an diese die Möglichkeit zum Rückzug, der Entspannung und damit zur Regeneration geben. Denn ohne die notwendige Energie, die wir in der Entspannung sammeln, wird es auf Dauer nicht möglich sein, den auf uns wartenden, neuen Herausforderungen auch gerecht zu werden.

Welche generellen Einflussfaktoren gibt es auf die mentale Gesundheit für Politiker?

Generell sind wir in den letzten Jahren zunehmend mit Phänomenen konfrontiert, die plötzlich auftreten und so in unserer modernen Gesellschaft noch nicht da gewesen sind. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von komplexen Phänomenen. Ob es sich nun um die Corona-Pandemie, die derzeitige Inflation oder die Situation in der Ukraine handelt, all diese Entwicklungen haben eines gemeinsam: ihr Verlauf ist zu einem gewissen Grad ungewiss.

Nun sind wir als Menschen zwar alle von diesen Phänomenen betroffen, von Politikerinnen und Politkern wird jedoch erwartet, dass sie Rückhalt und Zuversicht im Umgang mit diesen schaffen. Und das wiederum kann einen wesentlichen Einfluss auf die mentale Gesundheit haben.

Was genau verursacht Stress im Körper eigentlich?

Stress bereitet unseren Organismus über die Ausschüttung von Stresshormonen vor, Herausforderungen zu begegnen. Dabei spielen vor allem das Adrenalin und das Cortisol eine wesentliche Rolle: während das Adrenalin den Organismus putscht und eine Art Hyperfokus begünstigen kann, wirkt das Cortisol hemmend auf unser Immunsystem.

Besonders günstig ist diese Reaktion unseres Körpers in Situationen, die kurzfristig die Mobilisierung all unserer Kräfte verlangen. In unserer modernen Zeit ist es jedoch oft so, dass unser Stress ein langanhaltender ist: oft begleiten uns die Sorgen vom Arbeitsplatz bis zur Bettkannte. Dauert die Stressreaktion über einen längeren Zeitraum an und werden die Stresshormone nicht durch beispielsweise regelmäßige Bewegung abgebaut, kann es zu einer Ansammlung im Körper kommen. Diese belastet auf Dauer das Herzkreislaufsystem und kann auch unsere Glücksachse im Gehirn, die Serotonin-Dopamin-Achse, schädigen.

Vor allem das Tanzen auf so vielen Hochzeiten wie möglich ist für einen Kommunalpolitiker ein großer Aufwand. Gibt es dafür eine Sortieranleitung, oder sollte man da und dort einfach einmal NEIN sagen?

Gerade in der Kommunalpolitik ist die Nahbarkeit ein wichtiger Faktor: Durch Nähe entsteht Vertrauen und der persönliche Kontakt ist dabei eine wesentliche Komponente. Allerdings gilt auch hier das Prinzip, dass zu viel vom Selben auf Dauer gesehen der Gesundheit schaden kann. Immer wieder bewusste Pausen zu setzen und sich in Kontexten zu bewegen, in welchen man andere Rollen bekleidet (beispielsweise als Ehemann/Ehefrau, Vater/Mutter etc.) und die Rolle des Politikers bei Seite legen kann, sind daher wichtige Bausteine. Es gibt Phasen im politischen Zyklus, die dafür mehr Gelegenheiten bieten als andere und diese sollten daher gut geplant und genutzt werden.

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind die ersten Ansprechpersonen, wenn in der Gemeinde irgendwo der Schuh drückt. Reichen da die Gespräche mit Familie und Angehörigen, um auch mal dem eigenen Frust freien Lauf zu lassen, oder ab wann raten Sie zu einer Abfederung der psychischen Belastung in Form von Beratungen von Experten?

Viktoria Lanthier: „Befinden wir uns im Austausch mit Menschen, die uns nahestehen, die uns ihre Aufmerksamkeit schenken und unseren Rücken stärken, wird Oxytocin ausgeschüttet und kann sogar positiven Einfluss auf unseren Stresshormonpegel haben.“
Gespräche mit vertrauten Personen können unmittelbar entlastend wirken. Dieser Effekt ist insbesondere auf den Neurotransmitter Oxytocin, auch Bindungshormon genannt, zurückzuführen.

Befinden wir uns im Austausch mit Menschen, die uns nahestehen, die uns ihre Aufmerksamkeit schenken und unseren Rücken stärken, wird das Oxytocin ausgeschüttet und kann sogar positiven Einfluss auf unseren Stresshormonpegel haben. Das hat man in Studien eindrucksvoll belegen können, bei denen die Anwesenheit von vertrauten Personen bei Menschen in besonderen Drucksituationen, wie beispielsweise einem Zahnarztbesuch, das Schmerzempfinden von Personen reduziert und nachweislich den Cortisolspiegel nach unten reguliert. Geteiltes Leid ist somit also auch auf neurobiologischer Ebene tatsächlich oft nur halbes Leid.

So gut die Gespräche mit Familie und Angehörigen auch tun, bei anhaltender psychischer Belastung können sie jedoch oft nicht die entsprechend notwendige Unterstützung bieten. Wenn man also beispielsweise in Gedankenschleifen festhängt, über längere Zeit nicht mehr abschalten kann, durchgehende innere Unruhe bzw. Anspannung besteht oder auch der Schlaf beginnt zu leiden, können dies alles Indizien sein ein Gespräch mit einem Experten in Anspruch zu nehmen.

Kommunalpolitiker sehen sich vor allem durch Hater auf Social Media auch immer öfter Angriffen unterhalb der Gürtellinie ausgesetzt. Wäre ein gänzlicher Verzicht auf so manche Online-Tools nicht auch viel gesünder?

Wenn man sich das Phänomen der Hass-Kommentare oder auch „hate-speech“ etwas genauer ansieht stellt man fest, dass diese als Reaktion auf einen konkreten Standpunkt erfolgt, der einer einzelnen Person oder einer Personengruppe missfällt. Nun könnte man hate-speech „leicht“ vermeiden, indem man eben keinen Standpunkt bezieht. Nur genau das ist ja das Wesen und die Aufgabe eines guten Politikers.

Unliebsame Äußerungen gehören also ein Stück weit dazu, wenn man sich als Kommunalpolitiker ein Profil schafft. Allerdings geht aus Studien hervor, dass die Intensität von Äußerungen in anonymen Kontexten wie Social-Media-Plattformen, auf denen man keinen echten Namen angeben muss, deutlich größer ist als in persönlichen Begegnungen. Ein Verzicht auf Online-Tools könnte hier hilfreich sein. Nachdem Online-Plattformen aber auch einen niederschwelligen Zugang zur Bevölkerung ermöglichen und Präsenz zu wichtigen Themen schaffen können, ist vermutlich ein wohldosierter Umgang eine andere Variante.

Viele Personen des öffentlichen Lebens, die auf online-Plattformen aktiv sind, wenden beispielsweise den Trick an die Kommentar-Spalte nur an Tagen zu lesen, an denen man sich gut gewappnet fühlt, und sie sonst zu überspringen.

Haben Sie weitere Tipps und Kniffe, um psychischer Belastung im kommunalen Arbeitsalltag vorzubeugen?

Humor gilt gerade in besonders fordernden Kontexten als eine „Geheimwaffe“, die helfen kann Situationen leichter zu verdauen. Durch den Humor verschaffen wir uns Distanz zum Geschehen, was wiederum die Situation ein wenig erträglicher macht. Sich den Humor zu behalten, ist also ein wichtiger Tipp und gleichzeitig ein gutes Indiz: beginnt es am Humor zu fehlen, ist es eventuell ein Zeichen das oben erwähnte Pendel in die andere Richtung schwingen zu lassen und für eine Pause zu sorgen.

– B.STEINBÖCK

 

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