Tief in der Oststeiermark, etwas versteckt im Rittscheintal gelegen, befindet sich die Marktgemeinde Hartmannsdorf. Mit knapp 2.950 Einwohnern ist sie nicht besonders groß – dafür hat sie einiges zu bieten: Neben einer Volks- und Neuen Mittelschule gibt es dort eine Musikschule, eine Wallfahrts-Kapelle mit Heil-Quelle und sogar einen Skilift. Dank ihrer Bedeutung als Pfarrort steht in der Mitte der Marktgemeinde auch eine große Pfarrkirche. Das besondere an dieser: Der schiefe Kirchturm.
Der schiefe Turm von Hartmannsdorf
Nicht nur in Pisa gibt es einen schiefen Turm, sondern auch in Hartmannsdorf, wo der 36 Meter hohe Kirchturm sich infolge einer Absenkung des Grundwasserspiegels um fast einen Meter geneigt hat. Er ist mittlerweile zu einem Wahrzeichen des Ortes geworden. Geweiht ist die Hartmannsdorfer Pfarre der Heiligen Radegundis, wie sich auch auf dem Gemeindewappen widerspiegelt.
Diese Heilige war Äbtissin und wurde mit zwei Wölfen und einer Krone als Beigaben dargestellt. Das Wappen wurde der Gemeinde vor nicht allzu langer Zeit, nämlich 1959 verliehen. Will man der Namensgeschichte von Hartmannsdorf auf die Spur gehen, so muss man lange davor anfangen: Nämlich bei der historischen Besiedlung der Region um die heutige Marktgemeinde.
Dem Ritter sei Dank
Sogenannte Keltengräber sind Zeugen, dass die Gegend rund um Hartmannsdorf schon vor langer Zeit besiedelt war, doch für das Entstehen einer festen Siedlung war wohl die Erbauung der etwa 13 Kilometer entfernten Riegersburg im Jahre 1138 ausschlaggebend. Denn auf dieser Burg lebte – so erzählt man sich – ein Ritter namens Hartmann. Er gilt als Gründer der Marktgemeinde, die bis 1922 „Windisch-Hartmannsdorf“ hieß.
Windisch bedeutet windig – könnte man meinen. Tatsächlich bezieht sich der Ausdruck auf historische westslawische Völker und Stämme. Es ist also ein Hinweis darauf, dass die im 12. Jahrhundert eingewanderten deutschen Siedler hier Reste einer dünnen slawischen Bevölkerung vorgefunden haben, die sich nur in versteckten Randlagen halten konnte. Der größte Teil der slawischen Siedler war nämlich im Zuge der Ungarneinfälle im 9. und 11. Jahrhundert vertrieben worden. Die Gegend um Hartmannsdorf schien jedoch soweit versteckt, dass die deutschen Siedler sogar noch Reste einer bestehenden Straße fanden. Windisch-Hartmannsdorf bedeutet also weder windig, noch westslawisch – sondern vielmehr eine deutschsprachige Siedlung im „windischen“ Gebiet.
Heilendes Wasser soll vor Augenkrankheiten schützen
Neben der großen Pfarrkirche gibt es in Hartmannsdorf noch die Ulrichsbrunn-Kapelle. Das unscheinbare, winzig kleine Kapellchen liegt außerhalb des Ortes, im Wald versteckt über einer der stärksten Quellen der Umgebung. Die Kapelle wird von Pilgern aufgesucht, da dem dort entspringenden Quellwasser eine heilende Wirkung nachgesagt wird.
Obwohl der Großteil der Quellschüttung heute als Wasserversorgung vieler Haushalte dient, sorgte die Wassergenossenschaft dafür, dass ein kleiner Teil des plätschernden Wassers im Gewölbe der Kapelle weiterhin fließt. Nach altem Brauch wischen sich dort noch heute Pilger die Augen mit dem Quellwasser aus, um so vor Augenkrankheiten geschützt zu sein. Für gläubige Hartmannsdorfer hat die Ulrichsbrunn-Kapelle übrigens eine weitere Bedeutung: Während der russischen Besatzung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg diente sie als Versteck für heimliche Gottesdienste.
Wie der Jedermann von Hartmannsdorf nach Salzburg kam
Besonders stolz ist man in Markt Hartmannsdorf auf einen seiner Ehrenbürger, dem man sogar ein Denkmal widmete: Der Schauspieler Peter Simonischek begeisterte von 2002 bis 2009 als Jedermann das Publikum der Salzburger Festspiele. Damit war er der bislang am längsten dienende Jedermann-Darsteller. Was viele nicht wissen: Simonischek verbrachte seine Kindheit in Markt Hartmannsdorf und dort wurde ihm zu Ehren im Jahr 2004 der sogenannte „Peter Simonischek-Literaturbrunnen“ am Dorfplatz errichtet. Anstelle von Wasser sprudelt aus diesem „Brunnen“ – wie der Name schon sagt – Literatur. Simonischek selbst befüllt den Literaturbrunnen regelmäßig mit neuen Werken und seit 2010 küren Simonischek und seine Frau Brigitte Karner im zweijährigen Takt die Sieger des von ihnen ins Leben gerufenen Literaturwettbewerbs „Wortschatz“.
Kreativität wird in Hartmannsdorf nicht nur in Form von Literatur, sondern auf vielfältige Weise gefördert: So verbindet der sogenannte Obstlehrpfad Naturkunde mit Spiel und Erholung. Informationen über verschiedene Obstbaumsorten, eine Kinderspielwiese, ein Biotop mit Energierastplatz sowie eine alte Presse bieten Freizeitprogramm für die ganze Familie.
Ein Dirndl für Hartmannsdorf
Auch die Hartmannsdorfer Jugend lebt Kreativität und Heimatverbundenheit. Eine Gruppe junger, interessierter Trachtennäherinnen hat das umgesetzt und vor Kurzem ein eigenes Stück entworfen: Das Hartmannsdorfer-Dirndl.
-E. SCHUBERT