Johannes Pressl macht sich gern von allem selbst ein Bild. Egal, ob es um Daten, Best-Practice-Beispiele oder um Menschen geht – er schaut es sich persönlich an. Aus diesem Grund ist der Neo-Präsident des Österreichischen Gemeindebundes letzte Woche mit einer Bürgermeister-Delegation in die Ukraine gereist, um sich ein Bild vor Ort zu machen und Kooperationen und Unterstützungen auszubauen.
Das ist sein ganz persönlicher Reisebericht:
Während der Europatag am 9. Mai in Österreich vielerorts mit offiziellem Zeremoniell begangen wurde, hat sich der Österreichische Gemeindebund nach Kiew aufgemacht, um in der Ukraine am 2. Städte- und Regionentag teilzunehmen. Es war sicherlich dem Drängen des ukrainischen Botschafters in Österreich, der Einladung von Gouverneur Viktor Mykita aus Transkarpatien, das ja ehemals zur Monarchie gehört hat, und auch dem österr. Botschafter in der Ukraine Arad Benkö geschuldet, dass ich letztlich hier mit einer 12 köpfigen Delegation von Bürgermeistern und Gemeindevertretern mit dabei war.
Reise nur per Bus und Nachtzug möglich
Aufgrund des Flugverbotes im ukrainischen Luftraum war die Anreise nur per Bus bis Przemysl in Polen und von dort per Nachtzug möglich. Mittlerweile sieht Botschafter Arad Benkö aber auch wieder die Fahrt mit dem Auto als eine Möglichkeit. Übrigens waren die Nachtfahrten mit dem Zug zumindest so angenehm, dass am nächsten Tag auch die Termine problemlos möglich waren. Insgesamt muss man derzeit in jedem Fall bei der Anreise sowie auch bei der Abreise ein „fast 24h“ Reiseprozedere einplanen. Selbst höchstrangige Vertreter, Staats- und Regierungschefs oder anlässlich der Veranstaltung auch die Präsidentin des EU Parlaments – Roberta Metsola – hatten genau dasselbe Anreiseprogramm mit Kontrollen, Zwischenaufenthalten des Zuges zur „Umschienung“ auf die Breitspur usw. zu absolvieren. Im Moment ist die lange Anreise sicherlich auch noch einer der großen Hemmschuhe für Kooperationen mit der Ukraine – in einem für uns „gewohnt“ freien Europa und per Flug rasch erreichbaren europäischen Hauptstädte.
„Kommts gut wieder heim“
Kommts gut wieder heim!“ und „Muss das wirklich sein?“ waren einige der Statements, die die Reiseteilnehmer vor der Reise vielfach gehört haben. Vielleicht schwang da oft auch die versteckte Frage mit „….habt´s nichts besseres zu tun“. Und einige Reiseteilnehmer haben auch bestätigt, dass sie gar nicht viel darüber gesprochen haben, wohin sie da fahren……; Nach 2 Tagen in der Ukraine kann man sagen: „ANGST und Sorge“ braucht man vor so einer Reise im Moment nicht haben. Natürlich haben wir uns auch immer wieder die Frage gestellt: „Kann etwas passieren….? Man hört ja von den Medien – über Raketen, Luftangriffe usw…….?“ Ja.
„Normalität“ im Krieg
Bei einer Fahrt am ersten Tag abends nach der Konferenz in ein Dorf nahe Kiew hat man uns auch einen Einschlagtrichter einer Kinschal-Rakete gezeigt, die bis Kiew gekommen ist. Insgesamt 2 derartige Raketen haben es kürzlich bis hierher geschafft, wurde uns erzählt. Zweimal haben wir auch Luftalarm erlebt. Das sei wenig. An manchen Tagen können es 4 Alarme und mehr sein. Da heulen dann fast zeitgleich jede Menge Handies der Menschen in der Umgebung und natürlich die Sirenen in der Stadt. Aber mittlerweile dürfte das das Alltagsleben der Menschen nicht mehr besonders aus dem Tritt bringen. Es ist bei Alarmen scheinbar rasch klar, welche Gefährdung davon ausgehen könnte und so reagieren viele Menschen in ihrem Alltag darauf scheints gar nicht mehr……….;Unterm Strich läuft das Leben in Kiew und Umgebung allem Anschein nach überhaupt „normal“.
Spürbar ist Krieg doch immer und überall
Spürbar war der Krieg allerdings doch irgendwie immer und überall – bei der Konferenz natürlich ganz besonders. Und da ging´s auch um die Möglichkeiten der Europäischen Integration. Präsident Pressl war auch auf das Podium geladen. Er erzählte dort aus der Erfahrung der Österreichischen Gemeinden von Möglichkeiten, auf kommunaler Ebene eine EU-Integration des Beitrittskandidaten Ukraine zu schaffen. Er hat aber auch sehr ehrlich die Sichtweise vieler Menschen bei uns in Österreich und in anderen EU Ländern angesprochen, die einem EU-Beitritt der Ukraine sehr skeptisch gegenüberstehen. Das und auch allein schon die Tatsache, dass unsere Reise dazu gedient hat, auch Partnerschaften zwischen Gemeinden der Ukraine und Österreichs direkt anzubahnen, hatte auch im Nachspann noch zahlreiche Gespräche zur Folge. Über „gewünschte“ Wirtschaftskontakte – zum Beispiel beim Aufbau von kommunaler Infrastruktur, wie Straßen, Kanälen, Glasfaserleitungen oder Wasserversorgungen und deren Finanzierung – war dabei viel die Rede. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit denen unsere Gruppe im Austausch war, waren aber auch realistisch darüber, was derartige Partnerschaften „können“. Die Erwartungen liegen vielfach auch einfach nur darin, Verständnis zu bekommen und Teil der europäischen Gemeinschaft zu sein!
Betroffen machen Gespräche von der Frontlinie
Dramatisch und betroffen machend zugleich verlief jenes der vielen Gespräche mit Ivan Fedorov. Er ist Gouverneur der Region Saporischschja, die im Moment zu 1/3 Ukraine und 2/3 „russisch“ ist. Die Frontlinie zieht sich durch seine Region mitten durch. Und die Bürgermeisterkollegen dort, die er zum Gespräch mitgenommen hat, die haben unserer Delegation erzählt wie man lebt, wenn man 10km und 15km von der Frontlinie entfernt eine Gemeinde führt…….; Ich habe den Gouverneur auch gefragt, wie er die militärische Lage einschätzt. Er war sehr zuversichtlich. Er sagte aber auch, wenn wir es nicht schaffen, dann hat Europa ein Problem, dann habt ihr ein Problem, denn Russland wird „keine Ruhe“ geben…….; Diese „Wahrnehmung“, dass hier wirklich an der Grenze von EUROPA zu RUSSLAND darum gekämpft wird – um das Lebens- und Wertesystem, das uns ausmacht, diese Wahrnehmung zog sich bei allen Gesprächen durch. Und Roberta Metsola, die bei der Konferenz nach Wolodimyr Selenksy eine Rede zur Eröffnung gehalten hat, hat mit voller Überzeugung versprochen, dass die EU alles dafür tun wird, dass der Geist „der Spirit“ der EU, wie sie sagte, auch in Zukunft durch die Ukraine wehen werde. So erklärt sich auch der Beitrittsstatus, den die Ukrainer mit enormem Willen und auf allen Ebenen umsetzen wollen. Die Europäische Union und damit verbunden nicht nur die wirtschaftliche Partizipation, sondern vor allem auch die Werte von Frieden, Freiheit und Menschlichkeit wollen sie mit aller Kraft als Bollwerk Richtung Osten verteidigen.
Was kann Österreich nun tun? Was können wir in den Gemeinden tun?
Vereinbart haben wir an diesen 2 Tagen in der Ukraine:
- …. dass wir uns in den Österr. Gemeinden besonders um die Aufnahme von Kindern aus Kriegsgebieten für Sommerurlaube bemühen wollen
- …. dass wir an direkten Partnerschaften zwischen Gemeinden und Städten aus Österreich und Ukrainischen Gemeinden arbeiten werden.
- …. dass wir eine digitale Plattorm für Bedarfsgüter aufbauen wollen. Bedarfsgüter, die man in der Ukraine brauchen kann und die bei uns in den Österr. Gemeinden schon längst ausgeschieden werden.
Gemeinde Laxenburg zeigt vor, wie es gehen kann
An einem Beispiel der Gemeinde Laxenburg haben wir dann auch gesehen, wie das gehen kann. Vor Monaten schon hat der dortige Bürgermeister David Berl mit seiner Kommune ein altes ausgeschiedenes Feuerwehrauto gespendet. Heute steht es in der Ukraine und wird dort „gehegt und gepflegt“, wie wir uns überzeugen konnten. Die 7000 EW Gemeinde, die es bekommen hat (Solotschi) liegt nur 30 Kilometer von Kiew entfernt, aber sie musste von einem 5 Mio. Budget vor dem Krieg auf ein nur mehr 3,5 Mio. Budget danach „einsparen“. Und davon geht auch noch ein Teil in Unterstützungen ihrer Soldaten an die Front. Vom Tarnnetz nähen über Essenspackungen bereiten bis zu verschiedenen zivilen Unterstützungsprojekten wird in Solotschi enorm viel Zeit und Geld zur Unterstützung der Dorfbewohner, die im Krieg sind, getan. Von den 7000 Einwohnern sind im Moment 400 an der Front, leider zahlreiche von ihnen auch getötet worden, haben uns der dortige Bürgermeister und seine Mitarbeiter erzählt……..; Im Ort selbst sind aktuell alle Investitionsprojekt auf Eis gelegt. Nur mehr in den „Shelter“ – also den Keller unter der Schule investiert man gerade, um ihn mit tonnenschweren Stahlstützen sicher zu machen. Bei Luftangriffen und Alarmen müssen die Kinder hierher dann zum Unterricht.
Zurück zur Konferenz der Städte und Regionen in Kiew
Da waren die Fragen natürlich grundsätzlicher und staatstragender. Zwei Dinge haben sich – überlagert von großem Selbstbewusstsein der Ukraine – aber durchgezogen: Die fehlenden Finanzmittel einerseits aber auch der enorme Gestaltungswille für das Land im europäischen Geist. Rund die Hälfte des Budgets der Ukraine geht im Moment „in den Krieg“. Investitionen in das Land werden überall zurückgestellt. Kredite kosten rund 22% Zinsen. Auch vom Ausland kommt – mit wenigen Ausnahmen – kein Investment, weil einfach die „Sicherheiten“ zu gering und die Unsicherheiten zu hoch sind. Die schon beschriebene Angst vor der Reise und vor einem Engagement in einem Kriegsland schreckt die Wirtschafts- und Finanzbosse zusätzlich ab ……; Aber – und das ist bei den Gesprächen mehr als klar geworden – der Aufbau und alle Vorbereitungen dazu, die beginnen bereits. Und die Unsicherheit, dass eine Infrastruktur, die gebaut wird, gleich wieder zerstört werden würde, ist zumindest im Westen des Landes nicht wirklich hoch…..; Absicherungen durch die EU und europaweite „Finanz-solidarische Maßnahmen“ für derartige Investments werden erforderlich sein und wie wir bei der Konferenz gehört haben, sind die auch in Vorbereitung. Österr. Firmen sind im Moment die 6. größten Investoren in der Ukraine – beziehungsweise €600 Mio. beträgt das Aussenhandelsvolumen Österreichs mit der Ukraine im Moment, sagte uns der Österreichische Aussenhandelsdelegierte Georg Weingartner, bei einem „Briefing“ in Kiew.
Die Ukraine kämpft wie ein Löwe
Die Ukraine kämpft „wie ein Löwe“ und das „mit vereinten Kräften“. Die Massaker der ersten Kriegstage und -wochen haben zusammengeschweisst. Dass der Präsident in den ersten Tagen im Land geblieben ist und seither unbeirrt vorangeht, steht stellvertretend für so viele, die wir kennengerlernt haben und die für ihr Land einstehen.
- Übrig wird bei uns von dieser Reise bleiben, dass die Ukraine nicht nur gegen einen Aggressor kämpft, sondern auch mit aller Kraft für einen Anschluss an die EU – und das nicht als Idee einiger weniger Eliten, sondern kollektiv – alle Parteien, Menschen und Kräfte in diesem Land.
- Übrig wird bleiben, dass das nicht von heute auf morgen geht und noch ganz entscheidend davon abhängen wird, wie sich der Krieg entwickelt.
- Und übrig bleiben wird, dass allein schon, dass sich der Westen in der Ukraine zeigt und man Verständnis für die teils dramatische Situation hat, für die Verantwortlichen hier enorme Kraft gibt.
- Übrig wird noch bleiben, dass der Aufbau dieses Landes jetzt beginnt und
- Übrig bleibt auch, dass sich „hinter“ diesem Land wie wir es in den Medien in den letzten Jahren kennengelernt haben, ein Land verbirgt, das durchaus eine herausfordernde Geschichte des Kommunismus hat, das lange Zeit Orientierung zwischen Ost und West gesucht hat, das nach wie vor einen enormen Spagat zwischen sehr arm und sehr reich zu überwinden hat, das in der Abwehr gegenüber dem Aggressor enorm geschlossen ist, das aber möglicherweise nach einem Erfolg auch durch diese „inneren Disparitäten“ noch vieles aufzulösen haben wird.
- Übrig bleibt schließlich, dass die Ukraine – so wie Polen, Rumänien, Ungarn, …… ein Europäisches Land ist, das auf einem harten aber am Ende klaren Weg in die EU ist.
Und wir sind jetzt gefordert, unsere Solidarität zu zeigen, um am Ende im Westen nicht „übrig“ zu bleiben! Alles GUTE der Ukraine oder wie die Ukrainer sagen „SLAVA UKRAINI“!
Weitere Fotos unter: https://meinegemeinde.blog/?p=11566
– J. PRESSL, Präsident Österreichischer Gemeindebund
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