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Europa

Recht

10.07.2024

Das fordern die Gemeinden von der EU

Die Entwicklungen in den letzten Monaten haben mehr als deutlich gezeigt, dass die EU-Gesetzgebung oft mit großer Verzögerung ankommt und dann auch für Unmut und Proteste sorgen kann. Der Österreichische Gemeindebund fordert von den künftigen Parlamentariern, der EU-Kommission und den österreichischen Vertretern im Rat folgende Themen ein: Bessere Berücksichtigung und Einbeziehung der lokalen Ebene in europäische Gesetzgebungsprozesse und Verständnis für unterschiedliche Strukturen und Ausgangslagen der Gemeinden und die Installierung eines EU-Kommissars für Gemeinden.

Der Beschluss von Richtlinien und Verordnungen im Schnellverfahren, ohne ausreichende Folgenabschätzung, Einbindung relevanter Interessensgruppen oder Realitätscheck birgt die Gefahr, letztlich zu einem Umsetzungsboykott zu führen. Ein Blick auf die kommunalen Haushalte zeigt, dass die Green-Deal-Ziele kurzfristig nicht umsetzbar sein werden. Dem steht nicht nur der Stabilitäts- und Wachstumspakt im Weg, sondern eine Finanzlage, die die Gemeinden de facto zu einem Investitionsstopp zwingt.

Dass der öffentlichen Hand vielfach eine Vorreiterrolle zukommt und immer mehr Aufgaben mit immer kürzeren Umsetzungsfristen übertragen werden, belastet gerade die Gemeinden enorm. Ohne diese aktiv in die europäische Politikgestaltung einzubeziehen, innerhalb der EU-Institutionen über Fachbereiche hinauszudenken und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip wieder besser Rechnung zu tragen, werden vor allem kleinere Gemeinden immer schwerer in der Lage sein, Entwicklungen fristgerecht zu folgen.

Kommissar für Gemeinden und Städte

Für eine bessere Berücksichtigung der Interessen der kommunalen Ebene fordert der Gemeindebund die Einsetzung eines „Kommissars für Gemeinden und Städte“. Der EU-Kommissar, die EU-Kommissarin soll auf EU-Ebene die Bedürfnisse der Gemeinden erkennen und darauf achten, dass die spezifischen kommunalen Herausforderungen in der Kommission berücksichtigt werden.
Fokus auf Deregulierung und Unterstützung bei der Umsetzung geltender Gesetze

Die aktuelle Kommission hat eine Fülle von Richtlinien und Verordnungen vorgeschlagen, die in den nächsten Jahren umgesetzt werden müssen, viele davon Novellen von Gesetzen, die national erst kurz davor in Kraft getreten sind. Für die Gemeinden bedeutet das geringere Planungssicherheit und das ständige Anpassen von Arbeitsabläufen. Der Gemeindebund fordert von der nächsten Kommission einen Regulierungsstopp in Bereichen, die in den letzten fünf bis sieben Jahren neu geregelt wurden, und einen klaren Fokus auf die europaweite Umsetzung geltenden Rechts.

Fokus auf „Rural Proofing“ bei der EU-Gesetzgebung

Die europäischen Bauernproteste Anfang 2024 haben gezeigt, mit welcher Verzögerung EU-Recht beim Rechtsanwender ankommt und welche Folgen Entscheidungen ohne Einbeziehung der Umsetzungsebene haben können. Der Gemeindebund setzt sich daher weiterhin für das sogenannte Rural Proofing ein, also die EU-Gesetzesfolgenabschätzung für den ländlichen Raum. Nur besseres Verständnis und größeres Wissen über die unterschiedlichen Strukturen und Herausforderungen in Europas Ortschaften und Gemeinden können dazu beitragen, EU-Gesetze so zu gestalten, dass notwendige Freiräume erhalten bleiben bzw. geschaffen werden. Kleine, dünn besiedelte und/oder abgelegene Städte und Gemeinden sind nicht in allen Bereichen gleich zu behandeln wie Metropolen oder Großstädte.

Positivbeispiele gibt es bereits in der Abwasserrichtlinie (mit Einwohnerschwellenwerten bei Zielen und Umsetzungsfristen) und in der Energieeffizienzrichtlinie (längere Umsetzungsfristen für Gemeinden unter 5.000 Einwohner). In anderen Bereichen wie der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie und dem Vergaberecht warten wir aber weiterhin auf Anpassungen, die die kommunale Selbstverwaltung und KMUs vor Ort unterstützen und nicht behindern.

Reduktion des Verwaltungsaufwands für EU-Förderungen und EU-Programme

Der Zugang zu vielen Fördermitteln und EU-Programmen ist so konzipiert, dass kleine und mittlere Gemeinden entweder automatisch ausgeschlossen oder aufgrund der komplizierten Antragstellung nicht in der Lage sind, sich zu beteiligen. Daher gibt es speziell für kleinere Gebietskörperschaften wenig niederschwellige Unterstützung zur Erreichung der Energie- und Klimaziele. Wir fordern daher einen unbürokratischen Zugang besonders auch kleinerer Gemeinden zu EU-Förderungen, sodass ausreichend Mittel für zukunftsweisende Maßnahmen zur Verfügung stehen.

Vereinfachung des Vergaberechts

Gemeinden sind öffentliche Auftraggeber und müssen bei Überschreiten der Schwellenwerte EU-Vergaberecht anwenden. Leider wird dieses immer komplizierter, weil die öffentliche Hand über das Vergaberecht die Erreichung anderer Politikziele beschleunigen soll. Auch im „Green Deal“ finden sich unter anderem in der Energieeffizienzrichtlinie und im „Net Zero Industry Act“ vergaberechtliche Verpflichtungen. Dies trägt zu einer weiteren Zersplitterung und Verkomplizierung bei und belastet die kommunalen Budgets mit Kosten für zugekaufte Expertisen.

Falls die EU-Kommission der Empfehlung des Letta-Berichts Folge leistet und eine Überarbeitung des Vergaberechts vorbereitet, muss klar auf Vereinfachung gesetzt werden. Wenn das Vergaberecht als Vehikel des grünen und digitalen Wandels genutzt werden soll, dann nur mit entsprechenden Freiräumen, Schwellenwerten und Privilegierung regionaler, nationaler und europäischer Unternehmen. Eine Umwandlung des Vergaberegimes von Richtlinien auf direkt anwendbare Verordnungen wird jedenfalls abgelehnt.

Anpassung des EU-Wettbewerbsrechts für kritische Infrastrukturen

Kritische Infrastrukturen – besonders auch Glasfasernetze – dürfen nicht ausschließlich dem Wettbewerb unterliegen. Es müssen – ähnlich wie bei Stromnetzen und Kanalleitungen – auch regulierte Möglichkeiten geschaffen werden, die den Wettbewerb im Betrieb und bei den Angeboten, aber nicht bei der Leitung selbst definieren.

Auch die derzeitigen Regelungen, wonach für Telekom-Unternehmen bei der Nutzung öffentlichen Gutes keine Gebühren eingehoben werden dürfen, gehören überarbeitet, da es sich nicht mehr wie in der Vergangenheit um öffentliche Einrichtungen, sondern um privatrechtliche Unternehmen handelt (z. B. in Österreich die Gebrauchsabgabe ermöglichen).

-REDAKTION (erschienen auf KOMMUNAL.at)

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