Die traditionelle Fach- und Bildungsreise führte eine Abordnung des Präsidiums gemeinsam mit dem Europaausschuss des Gemeindebundes vom bis 16. bis 18. Oktober ins Nachbarland Ungarn. Am Programm standen Besuche in zwei Gemeinden und Gespräche mit Kommunalpolitikern, dem ungarischen Gemeindebund TÖOSZ und dem Vizepräsidenten der ungarischen Nationalversammlung Istvan Jakab. Unser Nachbarland ist mit 93.036 km² und 9,6 Millionen Einwohnern heute größer als Österreich und war über Jahrhunderte hinweg mit uns historisch eng verbunden. In der Hauptstadt Budapest entdeckt man heute viele Gemeinsamkeiten mit Wien. Nach dem Ausgleich 1867 und der Begründung der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie gab es in Wien und in Budapest eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und in weiterer Folge auch einen Bauboom.
Besuch der Gemeinde Pilisvörösvár
Die Reise des Gemeindebundes führte uns mit dem Bus zuerst in die Gemeinde Pilisvörösvár (dt. Werischwar), etwa 20 Kilometer vor Budapest. Ziel des Besuchs war das deutschsprachige Friedrich-Schiller-Gymnasium und ein Gespräch mit dem Bürgermeister unter anderem über die Förderung der deutschsprachigen Gemeinden. Nach den Türkenkriegen im 16. und 17. Jahrhundert wurden in der Ödnis (ungarisch: Puszta) Deutsche, auch Donauschwaben genannt, angesiedelt. Sie kamen aus der Gegend der heutigen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Oberösterreich und auch Tirol. Die Gemeinschaften haben sich in Ungarn lange gehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden aus Ungarn 200.000 Donauschwaben des Landes verwiesen. Heute sind in Ungarn 2,4 Prozent der Bevölkerung offiziell deutschsprachig. In der Gemeinde Pilisvörösvár durften die Deutschen bleiben. Heute leben in der 14.500 Einwohner-Gemeinde 3.800 Menschen mit deutscher Abstammung, also etwa 26 Prozent der Bevölkerung. Das macht die Gemeinde zur größten deutschen Ortschaft in Ungarn. Die Gemeinde liegt direkt an der Bundesstraße 10, der alten Straße von Wien nach Budapest, wo auch in früheren Zeiten eine Postkutschenhaltestelle und später die Dampfeisenbahn für wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. 1689 kamen die ersten deutschen Siedler in die Gemeinde. Die Nachfahren leben bis heute hier. Seit 1993 können Minderheiten in Ungarn eine Selbstverwaltung begründen. Insgesamt gibt es 13 autochthone Volksgruppen. Wo mehr als 25 Personen einer Volksgruppe zusammenleben, kann sich eine Selbstverwaltung begründen. In Pilisvörösvár gibt es neben dem Stadtrat mit 11 Mitgliedern und dem Bürgermeister eine deutsche Selbstverwaltung mit fünf Mitgliedern. Beide Einheiten sind gewählte Körperschaften – die letzte Wahl fand im Juni statt – und voneinander unabhängig. Die deutsche Gemeinschaft organisiert in der Gemeinde Feste vom Faschingsverbrennen am Faschingsdienstag, übers Maibaum-Aufstellen bis hin zum Weinleseumzug mit den Schrammelkappellen durchaus auch bei uns bekannte Veranstaltungen. Daneben hat man auch auch auf den Straßenschildern die alten schwäbischen Namen angebracht. Die deutsche Kultur soll somit im ganzen Ortsgebiet präsent gehalten werden. Das Friedrich-Schiller-Gymnasium wird seit 2004 von der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen verwaltet. Heute werden 524 Schüler in 19 Klassen unterrichtet. Als Nationalitätenschule geht es nicht nur um den Spracherwerb, sondern auch um die deutsche Kultur. Neben 11-15 Stunden deutschsprachigem Unterricht pro Woche, gibt es fix 1 Stunde Volkstanz und deutsche Volkskunde pro Woche. Die Minderheiten in Ungarn können neben der bereits erwähnten Selbstverwaltung auch Vertreterinnen und Vertreter für die Nationalversammlung wählen.
Bei allen Gesprächen kommen auch schnell die familienpolitischen Leistungen des Landes bzw. der Gemeinden aufs Tapet. So erhalten Familien mit mehr als drei Kinder in der Stadt Pilisvörösvár etwa 50 Prozent Ermäßigung auf das Mittagessen in der Schule. Die Regierung bemüht sich seit Jahren die ungarischen Familien zu fördern. So gibt es auch Rabatte bzw. günstigere Konditionen bei staatlichen Krediten für den Kauf von Wohnungen oder den Bau von Häusern, wenn Kinder auf die Welt kommen. In 12 Jahren schaffte man damit die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau von 1,25 auf 1,6 Kinder zu erhöhen. So muss etwa eine Frau mit mehr als vier Kindern keine Einkommensteuer mehr zahlen, weil Elternschaft als Beruf anerkannt ist. Mit einer höheren Kinderzahl kann man auch früher in Pension gehen.
Zweiter Besuch: Gemeinde Diósjeno
Der zweite Gemeindebesuch führte uns am Donnerstag in das 3.000-Einwohner-Dorf Diósjenő, etwa 60 Kilometer nördlich von Budapest. Der Bürgermeister zeigte zu Beginn voller Stolz seinen neu errichteten Wellnessbereich neben dem öffentlichen Schwimmbad, der in Zukunft auch mehr Touristen in die Gemeinde locken soll. Bei einem Vortrag im Gemeindezentrum erfuhren wir auch mehr über die Herausforderungen der Kommunen in Ungarn. So organisiert die Gemeinde etwa selbst eine Gemeindeküche, wo täglich 250 Mahlzeiten gekocht und ausgegeben werden. Der größte Teil der Familien muss für die Verpflegung nichts zahlen. Die Gemeinde versorgt auch 50 sozial Bedürftige täglich mit einem Menü. Der Betrieb der Küche kostet der Gemeinde etwa 145.000 Euro pro Jahr. Vom Staat gibt es 85.000 Euro Zuschuss und 20.000 Euro Einnahmen für den Verkauf des Essens. Den Rest muss die Gemeinde aus ihrem Budget stemmen. Während die ungarischen Gemeinden nicht für Wasserversorgung und Kanal nicht zuständig sind, nannte der Bürgermeister auch andere Aufgabenbereiche, wie etwa die soziale Brennholzversorgung oder die Beschäftigung von Sozialhilfe-Empfängern. In Ungarn müssen Sozialhilfeempfänger in ihren Wohnsitzgemeinden arbeiten. Kurz gesagt: Wer nicht arbeitet, bekommt kein Geld. Der Bürgermeister ist für die Kontrolle zuständig. Zum Abschied gab uns der Bürgermeister von Diósjenő noch Folgendes mit: „Wir wünschen uns, mit unserem Dorf, so zu werden, wie ihr in Österreich und den Wohlstand für die Menschen zu erreichen, wie ihr in Österreich habt“!
Einfrieren der EU-Mittel belastet ungarische Gemeinden massiv
Generell zeigte sich bei den vielen Gesprächen eine große Zustimmung zum Migrationskurs der nationalkonservativen Regierung unter Viktor Orban. Was aber immer wieder kritisch angemerkt wurde, sind die fortschreitenden Zentralisierungstendenzen der Regierung. Auch das Einfrieren der EU-Mittel belastet die Gemeinden massiv. Kamen seit 2004 insgesamt 86 Milliarden Euro an EU-Fördermittel ins Land, so fehlen nun seit einigen Jahren 20 Milliarden Euro, gerade auch den Gemeinden. Für mehr Rechte für die Kommunen kämpft auch der ungarische Gemeindeverband TÖODZ seit Jahren an. Problem ist nur, dass Ungarn mit seinen 3.197 Gemeinden insgesamt acht Gemeindeverbände hat. Der Verband TÖODZ hat mit 1.655 Kommunen zwar die meisten Mitglieder, aber die politische Einflussnahme ist durch die – auch parteipolitische Zersplitterung – durchaus begrenzt.
Nach den offiziellen Programmpunkten und dem Besuch bei der österreichischen Botschafterin stand noch eine Schifffahrt auf der Donau durch Budapest am Programm.
– A. STEINER