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08.02.2024

Das kommt auf Tourismus-Gemeinden zu

Während manche Orte unter Touristenmassen stöhnen, würden sich die meisten Gemeinden mehr Fremdenverkehr wünschen. Wie hat sich das Verhalten der Gäste in den letzten Jahren verändert und wie muss die Tourismuswirtschaft darauf reagieren?

Die österreichische Tourismuswirtschaft hat den pandemiebedingten Einbruch überstanden. „Alle Zahlen zeigen nach oben. Es ist offensichtlich, dass die Lust am Reisen wieder da ist“, freut sich Robert Seeber, Obmann der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft der Wirtschaftskammer und Betreiber von drei Hotelbetrieben in Oberösterreich.

Regional ist die Bedeutung des Tourismus allerdings stark unterschiedlich ausgeprägt. Während auf Tirol im Sommer 28 und im Winter 38 Prozent aller Nächtigungen fallen, sind es im Burgenland nur drei Prozent im Sommer und ein Prozent im Winter. Die Top-3-Bundesländer mit den meisten Nächtigungen sind Tirol, Salzburg und Wien.

Corona änderte das Touristenverhalten

Während der Pandemie haben Outdoor-Aktivitäten wie Wandern und Radfahren an Beliebtheit gewonnen haben. „Die Menschen wollten dem Pandemiealltag entfliehen, einfach hinaus und die Natur genießen“, erinnert sich Sandra Neukart, die bei der Österreich Werbung für Kooperationen zuständig ist. Dieser Trend habe sich nach Corona gefestigt. „Wir sehen innerhalb des Trends Radfahren auch neue Richtungen, so hat ,Gravelbiken‘ in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen.“ Gravelbike vereint das Beste aus zwei Welten, man ist auf entsprechenden Routen abwechselnd auf Schotter und Asphalt unterwegs.

Die Österreich Werbung hat Gravelbiken heuer erstmals innerhalb ihrer Radkampagne beworben, und hier speziell die Gravel-Austria-Route, eine 3.000 Kilometer lange Rundstrecke durch Österreich.

Corona hat es auch mit sich gebracht, dass seither kurzfristiger gebucht wird. „Bei Stornierungen müssen die Betriebe jetzt flexibler sein“, weiß Hotelier Seeber.

Was den Gästen wichtig ist

Auch die Teuerungsproblematik macht sich im Tourismus bemerkbar. Andreas Haid, Bürgermeister der Gemeinde Mittelberg im Kleinwalsertal und Obmann des Tourismusausschusses des Gemeindebundes, beobachtet, dass hochpreisige Hotels derzeit weniger gebucht werden als Unterkünfte in mittleren Preislagen.

Während dieser Trend sich vielleicht wieder einmal umkehren wird, ist ein anderer gekommen, um zu bleiben: Nachhaltigkeit wird bei der Urlaubsplanung immer wichtiger. Eine Umfrage der Österreich Werbung in den für Österreich wichtigsten Tourismusmärkten zeigt, dass für 57 Prozent der Urlaubsgäste Nachhaltigkeit ein wesentlicher Faktor ist. Und laut einer weiteren Studie in Deutschland sind 23 Prozent der Befragten bereit, für nachhaltige Hotel-Zusatzleistungen wie regionale Lebensmittel oder Abfallvermeidung auch einen Aufpreis zu bezahlen.

„Diese nachhaltigkeitsaffine, ausgabenfreudige Zielgruppe ist für Betriebe besonders interessant“, sagt Sandra Neukart. Diese Gäste wollen oft schon umweltfreundlich anreisen. Darauf müssen die Quartiergeber eingehen und z. B. Abholdienste von Bahnstationen organisieren, um die „letzte Meile“ zum Quartier zu überbrücken.

Einen interessanten Trend beobachtet Robert Seeber. „Es fällt auf, dass Filme und Serien immer wichtiger werden. Nachdem etwa Hallstatt in der südkoreanischen Fernsehserie ,Spring Waltz‘ vorkam, kamen viel mehr Besucherinnen und Besucher von dort.“

Wie Hallstatt mit Over-Tourism umgeht

Dabei ist Hallstatt ohnehin bereits das Vorzeigebeispiel, wenn es um das Phänomen des „Over-Tourism“ geht. Während Venedig ab dem Frühjahr fünf Euro Eintritt von Tagestouristen verlangen will, ist das für Hallstatt aber, zumindest derzeit, kein Thema. Bürgermeister Alexander Scheutz meint, dass sich mit einem Gebührensystem die Problematik der verstopften Gassen noch verschlimmern würde.

„Wir befürchten, dass wir so zu einem Freilichtmuseum werden würden. Die Gäste nehmen sich dann gegenüber den Bewohnern und Bewohnerinnen vielleicht noch mehr Freiheiten, weil sie denken, sie bezahlen Eintritt in ein Museum“, sagte Scheutz kürzlich auf orf.at. Zur besseren Lenkung von Besucherströmen wird stattdessen mit den Nachbargemeinden an verschiedenen Konzepten gearbeitet. In einem nächsten Schritt sollen dann auch die Bewohner und Bewohnerinnen Hallstatts in die Planungen mit eingebunden werden.

Mit Nachbargemeinden kooperieren

Spartenobmann Seeber will nicht von „Over-Tourism“, sondern „Unbalanced-Tourism“ sprechen. „Betroffenen Gemeinden muss es gelingen, die Touristenströme zu entzerren. Leitsysteme können dabei helfen. In Wien wurde beispielsweise der Neue Markt so umgestaltet, dass er die nahe Kärntnerstraße entlasten kann. 

Eine Möglichkeit wäre es, Besucher-Obergrenzen festzulegen oder Timeslots zu vergeben, aber ein Patentrezept gibt es nicht. „Das muss individuell auf Gemeindeebene gelöst werden. Sinnvoll wäre es auch, Nachbargemeinden einzubinden“, empfiehlt Seeber.

„Die Gäste wissen oft, dass eine Region überlaufen ist, kommen aber trotzdem“, wundert sich Bürgermeister Haid. Das sei oft auch innerhalb einer Region so. „Bei uns gibt es Bergbahnen, bei denen enorm viel los ist, und andere Bahnen, die viel weniger frequentiert sind. Und das, obwohl die Menschen wissen, dass dort die Wartezeiten viel kürzer sind. Die Menschen zieht es zu den Hotspots hin.“

Die Österreich Werbung versucht mittels Digitalisierung, Gäste besser zu verteilen. So wurde im vergangenen Jahr ein Projekt im Rahmen des Tourism Data Space durchgeführt. Dabei ging es darum, anhand von Daten zum Verhalten und Charakteristiken von Gästen Strategien zur räumlichen und zeitlichen Entzerrung von Gästeströmen zu entwickeln.

Vom Klimawandel profitieren?

Gästebefragungen zeigen, worauf es den Menschen, die Österreich besuchen, ankommt. Als Assets werden dabei immer genannt: die heile Natur, die hohen Berge, die gute Luft, der Schnee, das saubere Wasser. „Für uns bedeutet das, dass wir die Natur intakt halten müssen und nicht immer weiter hinaufbauen oder Chaletdörfer errichten. Wenn uns das gelingt, wird der Fremdenverkehr auch in zwanzig oder dreißig Jahren noch funktionieren. Gerade für kleine Gemeinden kann das eine große Chance sein“, ist Bürgermeister Haid zuversichtlich.

Europaweit erwarten Expertinnen und Experten eine Verschiebung der Touristenströme von heißen, südlichen Destinationen in nördlichere Regionen. „Österreich wird hier zu den Gewinnern zählen“, hofft Spartenobmann Seeber. „Es gibt auch einen Trend weg von den Sommermonaten in Richtung der Nebensaisonen.“

Der Wintertourismus muss sich ändern

Für den Wintertourismus wird der fehlende Schnee aber zunehmend zum Problem. Über tausend Meter Seehöhe wird man weiterhin Schifahren können, in Lagen darunter wird es immer schwieriger werden. „Darauf muss in den Tourismusstrategien der einzelnen Gemeinden reagiert werden, und es müssen Alternativen gefunden werden“, weiß Bürgermeister Haid.

„Wenn das Schifahren nicht mehr geht, müssen die Betriebe Komplementärangebote entwickeln, um die Saison zu strecken. Also etwa Wellness, Wandern und Sport“, empfiehlt Robert Seeber. Langlaufen ist beispielsweise oft noch möglich, wenn alpines Schifahren nicht mehr funktioniert. Großes Potential gibt es beim Winterwandern, auch Radfahren kann man auch im Winter. In vielen Orten gibt es auch Gokarts, mit denen man den Berg hinunterfahren kann.

Auf den Klimawandel reagieren

Die Tourismuswirtschaft muss auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren. Ein wichtiger Faktor dabei ist Mobilität. Bürgermeister Andi Haid: „Bei uns im Kleinwalsertal – das ja nur von Deutschland aus erreichbar ist – wurde beispielsweise ein Bussystem mit Intervallen von lediglich einer Viertelstunde geschaffen. Zwei Unternehmen betreiben insgesamt 25 Busse im Auftrag der Gemeinde. Dieses gut funktionierende System führt dazu, dass der Großteil der Gäste das Auto stehenlässt. Dadurch gibt es weniger Verkehr und weniger Stau.“ 

Zukünftig wird auch die Nutzung von Daten – etwa eben über den Verkehr oder auch zum Wetter – eine immer wichtigere Rolle spielen, um steuernd eingreifen zu können. Haid: „Am Eingang zum Kleinwalsertal gibt es seit Kurzem eine Kamera, die das Kennzeichen von einfahrenden Autos erkennt. So weiß man, wie viele Einheimische, Pendler oder Nicht-Ortsansässige unterwegs sind.

Es gibt zwar keine Beschränkungen, weil das bei einer Landesstraße gar nicht erlaubt wäre, aber: „Man kann etwa im Internet oder auf elektronischen Tafeln anzeigen, wie viele Parkplätze an bestimmten Orten noch verfügbar sind. Das kann viel Verkehr einsparen, denn an heißen Tagen kann man etwa an Google-Auswertungen erkennen, wie Autos rund um Seen kreisen, weil sie keinen Parkplatz finden. Wenn die Besucherinnen und Besucher schon vorher sehen, dass alles verparkt ist, können sie sich entscheiden, woanders hinzufahren“, hofft Bürgermeister Haid.

Zuwanderung als Mittel gegen Personalmangel?

In der Hochsaison sind im Tourismus über 230.000 Menschen beschäftigt. Zunehmend wird es aber immer schwieriger geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. „Der Hauptgrund, warum es an Personal mangelt, hat demographische Gründe: Die Babyboomer gehen in Pension, und es gibt zu wenig junge Leute, die nachrücken“, sagt Spartenobmann Seeber. „Daher hoffe ich, dass wir ein System finden, das eine Zuwanderung von qualifiziertem Personal ermöglicht. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass Menschen, die bei uns arbeiten wollen – und ich betone das Wort ,wollen‘ –, das auch tun können“, appelliert der Wirtschaftskammer-Funktionär. 

Mit ein Grund für die angespannte Personallage ist aber sicher auch der Druck, der auf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lastet. Vor allem in der Gastronomie sind die Beschäftigten gestresst und unzufrieden.

Der Arbeitsklima Index der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigt, dass mehr als ein Drittel der Gastronomiebeschäftigten unter ständigem Arbeitsdruck leiden – mehr als in allen anderen Branchen. Überlange Arbeitszeiten, Dienste am Abend und an den Wochenenden und ständige Überstunden stehen auf der Tagesordnung. Oftmals in Verbindung mit schlechter Entlohnung und Missachtung von Ruhezeiten. All das führt zu hoher Unzufriedenheit und kurzer Verweildauer im Job bzw. in der Branche.

Qualität statt Quantität

Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit der Tourismuswirtschaft mit den Gemeinden? „Sehr gut!“, sagt Spartenobmann Seeber. „Wenn der Tourismus funktioniert, profitieren sowohl die Unternehmen wie auch die Gemeinden.“

Und welche Wünsche hat die Wirtschaft an die Gemeinden? „Eine Gemeinde muss sich darüber im Klaren sein, welche Gäste sie ansprechen will und ihr Angebot demensprechend gestalten. Das betrifft auch die Werbung: Sich auf Social Media zu präsentieren, wird auch für Gemeinden immer wichtiger“, empfiehlt der Touristiker. „Erfolgreich wird man im Tourismus nur dann sein, wenn man weg von der Quantität – Stichwort Over-Tourism – in Richtung Qualität geht.“ Das habe aber nichts damit zu tun, dass man nur hochpreisige Angebote bieten müsse. „Wenn man eben mehr in Richtung Qualität statt Masse geht, dann ist es auch für die Einheimischen leichter. Und die Fremden wollen oft in das authentische Leben der Einheimischen eintauchen.

-H. REINDL (erstmals erschienen im KOMMUNAL)

Akzeptanz des Tourismus durch Einheimische

Gerade in Orten, die stark vom Fremdenverkehr geprägt sind, gibt es immer wieder Schwierigkeiten, weil sich die Bevölkerung von Touristen „erdrückt“ fühlt. Hier ist, sind sich die Expertinnen und Experten einig, wichtig, den Einheimischen klarzumachen, dass ihnen der Tourismus auch Vorteile bringt. Und zwar auch denjenigen, die nicht im Tourismus arbeiten.

„Ein Bürgermeister aus dem Waldviertel hat mir einmal erzählt, dass in seiner Gemeinde zweimal am Tag ein Bus fährt. Und zwar deswegen, weil es keinen Tourismus gibt und kürzere Intervalle sich nur wegen der Einheimischen nicht rentieren“, erzählt Robert Seeber aus der Praxis.

Wichtig ist, in der Gemeinde Probleme und Vorbehalte auszusprechen und anderseits der eigenen Bevölkerung klarzumachen, wie sehr sie vom Fremdenverkehr profitiert. Seeber: „Etwa wenn es um den Wert von Gastfreundschaft geht. Sie kostet nichts, hat aber Österreich im Fremdenverkehr groß gemacht. Als Bürgermeister ist man vielleicht vorsichtig, weil man die eigenen Bürgerinnen und Bürger nicht beleidigen möchte, aber man muss manchmal schon sehr deutlich sagen, wie sehr sie etwa von der Infrastruktur, die für den Tourismus geschaffen wurde, profitiert.“

Über den Autor

Helmut Reindl ist Redakteur bei KOMMUNAL und Chefredakteur der NÖ Gemeinde.

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