Deutschland kommt nicht aus der Krise. Die „Zeitenwende“, die Bundeskanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren als Reaktion auf den russischen Überfall der Ukraine ankündigte, ist vom höchsten deutschen Gericht als Politik des „Weiter so“ entlarvt worden. Das „Muddling-Through“ ist längst deutsche Regierungsräson. Das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat dieser Praxis und damit auch der Ampel-Koalition einen Riegel vorgeschoben. „Die Zeiten, in der die Regierung die Illusion nähren konnte, die Politik müsse keine harten Entscheidungen mehr treffen und es gebe so etwas wie ein Free Lunch, sind ein für alle Mal vorbei,“ kommentiert der britische Wirtschaftshistoriker Harold James das Urteil.
Bereits 2021 hat das höchste Gericht mit seinem Klimaurteil das einseitige Verschieben von Lasten in die Zukunft untersagt. Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit müssen sich, so die Richter, im Rahmen der Verfassung und damit der Schuldenbremse bewegen. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind ein Auftrag an uns alle: Die ökologische und die fiskalische Schuldenbremse gehören zusammen. Oberstes Maß ist die ökologische und finanzielle Freiheit auch künftiger Generationen.
Für eine Politik der Investitionen, Innovationen und der Integration
Jede Generation muss für sich und das, was künftig für sie wichtig ist, einstehen und Verantwortung übernehmen. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, schrieb 1789 inmitten politischer Umbrüche an seinen Kollegen James Madison, er mache sich Sorgen um die Unabhängigkeit der Generationen. Die Erde gehöre in ihrem „Nießbrauch“, dem Nutzungsrecht, den Lebenden: Man könne sie nicht einfach abnutzen, sondern müsse sie der nachfolgenden Generation in mindestens gleichwertigem Zustand und schuldenfrei übergeben.
Dieser Aufgabe muss sich auch die amtierende Generation der heutigen Babyboomer und Post-Babyboomer stellen. Ein Staat, der sich selbst Regeln setzt, ohne auf Kosten kommender Generationen zu leben, ist resilienter gegenüber Notlagen, Krisen und Katastrophen. Die aktuelle Debatte, wo am meisten zu sparen sei (Subventionen und/oder Soziales) ist eine typisch deutsche und wird den Herausforderungen nicht gerecht. Ein bloßes Hinaus sparen aus den Krisen würde insbesondere die Kommunen hart treffen. Wenn Sicherheit und Freiheit auch für kommende Generationen gelten sollen, braucht es eine Politik der Investitionen, Innovationen und der Integration auf europäischer, nationaler und kommunaler Ebene.
Die fünf Dimensionen von Sicherheit und Freiheit
Die Herausforderungen – Krieg, hybride Bedrohungen, Klima und eine polarisierte Gesellschaft – erfordern ein Zukunftspaket mit demokratischen, ökologischen, demografischen, digitalen und sozialen Bestandteilen.
Demokratisch geht es um eine neue Wehrhaftigkeit. Im Systemwettbewerb mit alten und neuen Despotien wie China und Russland benötigt Europa eine neue Globalisierungsstrategie. Europa muss außen- und sicherheitspolitisch auf eigenen Füßen stehen und zur eigenen Atommacht werden, um seine Freiheit auch in Zukunft verteidigen zu können. Innenpolitisch würde ein kommunaler Freiwilligendienst die politische Freiheit auch vor Ort sichern und den Zusammenhalt fördern.
Ökologisch geht es um die Sicherung der Freiheit kommender Generationen, in einer möglichst intakten Umwelt leben zu können. Energiesicherheit wird zum überragenden Ziel. Kommunen, die in Solar- und Windenergie investieren, sind weniger von Gasknappheiten und Preisanstiegen betroffen.
Demografisch geht es um eine neue Ausbalancierung der Sicherheit der heutigen und der Freiheit der kommenden Generation. Vorsorge muss sich auch hier wieder lohnen. Dazu gehören die Einführung einer „Aktien- beziehungsweise Deutschlandrente“, eine „Generationenrente“ mit einem Startkapital für jeden Neugeborenen und steuerfreie Mehrarbeit für Erwerbstätige und Rentner.
Digital geht es um den Schutz kritischer Infrastrukturen, angefangen von Krankenhäusern über die staatliche Verwaltung und Banken, Versicherungen und Kommunikationsströmen bis hin zu mehr digitaler Mündigkeit und Eigenverantwortung. Europa muss seine Schlüsselindustrien stärken und in Technologien wie Künstliche Intelligenz, aber auch in vertrauenswürdige Medien und konstruktiven Journalismus investieren. Informierte Zivilgesellschaften sind der beste Schutz gegen Fake News und Infodemien.
Sozial geht es um praktizierte und erlebte Solidarität, welche das Gefühl von individueller Selbstwirksamkeit und die Resilienz der Gesellschaft erhöhen. Dazu gehört gesellschaftliches Engagement in Kitas und Schulen, der Ausbau der Freiwilligendienste für Jung und Alt sowie die Integration von Zugewanderten auf Augenhöhe mit Einheimischen. Sicherheit und Freiheit sind langfristig nur dann möglich, wenn Deutschland zur Heimat für alle hier lebenden Menschen wird.
Das Zukunftsversprechen
Freiheit ohne Sicherheit kann es nicht geben. Sicherheit ohne Freiheit wird zum Gefängnis. Zukunftssicherheit und -freiheit haben ihren Preis. Das Konzept der Nachhaltigkeit enthält ein Sicherheits- und Freiheits- und damit ein Zukunftsversprechen: „Wir hinterlassen den eigenen Kindern und Enkelkindern einen Planeten, auf dem sie ein gutes Leben führen können.“ Ökologisch, finanziell und sozial. Das sollte uns alle Mühe wert sein. Auch im neuen Jahr.
– D. DETTLING, Zukunftsforscher (Quelle: Kommunal de.)