© ZVG

Panorama

11.09.2019

Die traurige Legende von Judenstein

Der kleine Ort Judenstein, unweit von der Tiroler Hauptstadt Innsbruck entfernt, erlangte durch eine Ritualmordlegende traurige Berühmtheit. Judenstein zeichnet allerdings viel mehr aus als das.

Wer von Innsbruck Richtung Osten fährt, kommt nach ungefähr 15 Minuten in die knapp 2.000 Einwohner zählende Gemeinde Rinn, die aus den beiden Dörfern Judenstein und Rinn besteht. Während einen der Namen Rinn nicht unbedingt aufhorchen lässt, tut es Judenstein sehr wohl. Vor über dreißig Jahren, Mitte der 80er Jahre, rückte die Legende, die den Ort bekannt machte, wieder ins öffentliche Interesse und bis heute hat Judenstein damit zu kämpfen.

Die ehemalige Wallfahrtskirche ist heute Gedenkstätte für misshandelte Kinder und Jugendliche.

Die Legende um „Anderl von Rinn“

Die Ritualmordlegende entstand im 17. Jahrhundert und handelt von dem dreijährigen Andreas „Anderl“ Oxner, der von Juden ermordet worden sein soll. Diese Geschichte wurde 1642 von einem damaligen Arzt im nahen adeligen Damenstift in Hall in Buchform veröffentlicht und der Kult um den Kindermord nahm seinen Lauf.

Der Mord soll demnach am 12. Juli 1462 von durchreisenden Juden begangen worden sein und soll sich im Wald auf einem Felsen zugetragen haben. Dieser wurde daraufhin als „Judenstein“ bezeichnet. 1671 wurde an dem vermeintlichen Tatort eine Kirche errichtet, die sich in den folgenden Jahren zu einem beliebten Wallfahrtsort entwickelte.

Kirchliches Verbot

Nachdem der Märtyrerkult Mitte der 1980er Jahre von kirchlicher Seite verboten wurde und auch die Fresken in der Kirche, die die Ermordung des Kindes zeigten, abgedeckt wurden, wurde auch die ehemalige Wallfahrtskirche selbst umbenannt. Heute heißt sie „Maria Heimsuchung“ und ist Gedenkstätte für misshandelte Kinder und Jugendliche.

Der 12. Juli beschert dem Ort allerdings nach wie vor regen Besucheransturm. Eine privat organisierte Wanderung zum Judenstein findet trotz des kirchlichen Verbots noch immer jedes Jahr statt. Ziel der Pilgerer ist dabei auch der sogenannte „Anderl-Hof“, vorgeblicher Wohnsitz des Kindes. Dieser existierte allerdings, ähnlich wie der berühmte Romeo und Julia-Balkon in Verona, zum Tatzeitpunkt noch gar nicht und wurde erst im 17. Jahrhundert gebaut.

Wichtige wirtschaftliche Rolle

Wie weit der Kult ging zeigt auch der Ortsname selbst, dieser lautete nämlich ursprünglich Oberrinn, wurde aber zu Judenstein geändert. Die Gemeinde hatte außerdem eine bedeutsame Rolle für die Wirtschaft Tirols. Um den Mautgebühren auf dem Brenner auszuweichen, nahmen viele Kaufleute die durch Judenstein verlaufende Hochstraße, die in die Römerstraße Via Raetia mündet. Dadurch entstanden auch zahlreiche Beherbergungsbetriebe in der Gemeinde.

Die Hochstraße spielte allerdings auch in der anitsemitischen Ritualmordlegende eine Rolle: Die Mörder des Kindes sollen auf dieser Straße unterwegs gewesen sein. Deshalb wurde auch die Kirche direkt neben der historischen Handelsroute errichtet, was wiederum zum wirtschaftlichen Erfolg von Judenstein beitrug.

Einer der ersten Luftkurorte Tirols

Rinn, und somit auch Judenstein, ist eine Gegend, die vor allem für ihre gute Luftqualität geschätzt wird und war einer der ersten Luftkurorte Tirols. Bereits in einem Prospekt aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg wird die Gemeinde wegen ihrer ozonreichen Luft gepriesen. Auch heute ist die Gegend ein populäres Ausflugsziel, das vor allem aufgrund seiner Nähe zu Innsbruck immer beliebter wird.

© Copyright - Kommunalnet