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Infrastruktur

Niederösterreich

05.08.2024

Wie funktioniert das Schwammstadt-Prinzip?

Stockholm und viele andere skandinavische Städte setzen es bereits seit Jahrzehnten erfolgreich ein: Das „Schwammstadt-Prinzip“ findet auch hierzulande immer mehr Befürworter. Bäume am Dorfplatz leisten wahre Wunder. Trotz widriger Bedingungen kühlen und filtern sie die Luft. Doch ein herkömmlicher Baum hat meist wenig Platz für Wurzeln, steht auf verdichteten Böden oder verliert Niederschlagswasser, das in den Kanal abgeleitet wird. Steigende Temperaturen, lange Trockenphasen und Hitzewellen stressen die Bäume zusätzlich. Das innovative Schwammstadt-Prinzip verschafft den Wurzeln mehr Raum und verbessert die Versickerung von Regenwasser. Das Konzept sieht vor, dem Baum unterhalb der befestigten Oberfläche in miteinander verbundenen Schotterkörpern mehr Raum zu geben. Das Substrat unter der Oberfläche ist dabei namensgebend für das Konzept und funktioniert wie ein Schwamm. Splitt, vermischt mit Kompost und anderen Substanzen, bietet den Wurzeln genügend lockeren Untergrund, um sich darin auszubreiten.

Ein neues Herz für Lanzenkirchen

Zur Anwendung gelangt das Konzept bereits seit 2021 auf dem Hauptplatz in Lanzenkirchen. „Jeder der 30 neu gepflanzten Bäume hat einen Raum von ca. 35 m³ Grobschlack bekommen – mit viel Luft und Wasserspeicher, damit bei trockenen Sommern Wasser gespeichert ist und den Bäumen zur Verfügung steht“, erklärt Lanzenkirchens Bürgermeister Bernhard Karnthaler und ergänzt: „als Ergebnis sieht man bereits jetzt das viel schnellere Wachstum der Bäume, die mehr Blätter tragen und somit ein besseres und kühleres Klima am Hauptplatz schaffen.“ Der Prozess bis zur Realisierung des Projekts war jedoch ein langer: Startschuss für das neue Ortszentrum bildete 2011 unter anderem ein Workshop mit der Bevölkerung, bei dem alle Bewohner aufgerufen wurden, ihre Meinung einzubringen. Eine Grundvoraussetzung für ein neues Zentrum stellen auch die Baugrundstücke dar. Daher wurde über die Folgejahre intensiv mit den Grundstücksbesitzern am Hauptplatz verhandelt und es konnten über 4.000 Quadratmeter seitens der Gemeinde erworben werden.

Großes Eröffnungsfest in Tulln

In die Umbaumaßnahmen miteinbezogen wurde auch Tullns Bevölkerung bei der Entsiegelung des Nibelungenplatzes. In den eineinhalb Jahre andauernden Beteiligungsprozess sind Vorschläge von Bürgern aller Generationen eingeflossen und es wurde zusätzlich eine Volksbefragung durchgeführt. Für Bürgermeister Peter Eisenschenk war die Mitwirkung der Tullnerinnen und Tullner von Beginn an eine Herzenssache: „Dabei ging es auch darum, einen Veränderungsprozess zu thematisieren. In den 60er-Jahren wurden städtebauliche Projekte allerorts an die Bedürfnisse des motorisierten Individualverkehrs angepasst und das Prinzip „autogerechte Stadt“ verfolgt. Was damals wichtig erschien, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Heute geht es um Klimawandelanpassung, Stadt der kurzen Wege, attraktive und beschattete Aufenthalts- und Begegnungszonen im öffentlichen Raum und um Reduktion und Entsiegelung von Parkplätzen als wesentlicher Schritt in Richtung Klimafitness einer Stadt.“ Das bestätigte ihm auch das Ergebnis der Volksbefragung im Dezember 2021, in dem die Mehrheit der Bevölkerung für eine großzügige Umgestaltung des Nibelungenplatzes votierte. Park statt Parkplatz eben. Ende Juni lud die Stadtgemeinde zum großen Eröffnungsfest anlässlich der Umgestaltung des Nibelungenplatzes zu einem klimafitten, öffentlichen Raum. Übrigens eine von zahlreichen Aktivitäten der Stadtgemeinde Tulln, um bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen. Tulln ist eine von neun NÖ Pionierstädten der Mission „Klimaneutrale Stadt“. Die Initiative unterstützt sie in ihren Vorhaben zu Klima- und Umweltschutz.

Amstetten bald größte Schwammstadt des Landes

Eine weitere solche Pionierstadt ist Amstetten. Hier ist die bislang größte Schwammstadt des Landes gerade am Entstehen. Ende 2024 werden die Arbeiten am Hauptplatz mit unter anderem 74 neu gepflanzten Bäumen abgeschlossen sein. 2025 folgt die Umgestaltung der Rathausstraße. Weitere Projekte sollen in naher Zukunft folgen. „Dank des Schwammstadtprinzips sind unsere Bäume auch bei langen Hitze- und Trockenperioden in der Stadt überlebensfähig. Gleichzeitig entlastet es bei Starkregenereignissen die Kanalisation und beugt damit Überschwemmungen vor. Es ist quasi das größte Rückhaltebecken Amstettens. 90 Prozent des Niederschlagswassers laufen aktuell direkt in den Kanal ab“, erläutert Vizebürgermeister und Mastermind Markus Brandstetter, der am gesamten Projekt federführend beteiligt war. In Amstetten wurde bereits drei Jahre vor Baustart begonnen, mittels eines breit angelegten Partizipationsprozesses für eine größtmögliche Zufriedenheit zu sorgen. Die Wünsche und Anregungen wurden von der Bevölkerung über eine Hauptumfrage mit 1.112 retournierten Fragebögen, über Workshops, zahlreichen Einzelgesprächen und vor allem über sogenannte „Stadtsafaris“ kommuniziert.

„Wir haben diese Safaris oberirdisch, unterirdisch und überirdisch angeboten. Einerseits sind wir mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern durch einen Bach mitten in Amstetten und somit unterhalb der Stadtgemeinde durchgegangen. Dann waren wir oberirdisch mit einem Architekten unterwegs, der uns erklärt hat, wie sich die Stadt über die vielen Jahre entwickelt hat. Überirdisch haben wir den Menschen Amstetten mittels eines Hubsteigers der Feuerwehr von oben zeigen können.“ Der Grund für die Maßnahmen ist so simpel wie genial: „Wenn du etwas neu gestaltest, dann ist es wichtig, die Menschen aus ihren gewohnten Wegen herauszunehmen, um ihre neuen Ideen und Sichtweisen über die Stadt zu erhalten“, so Brandstetter. Was sich auch letzten Endes bei den Überlegungen zur Gestaltung ausgezahlt hat, wie Bürgermeister Christian Haberhauer verrät: „Dadurch sind wir draufgekommen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger sich unter anderem eine Begegnungszone, eine verkehrsberuhigte Zone und vor allem sehr viel Grün am Hauptplatz wünschen. Und am Ende des Tages soll die Umgestaltung auch für eine Attraktivierung sorgen. Der Platz inklusive Springbrunnen soll auch einen großen Raum bieten – für Festivals und Veranstaltungen mit bis zu 5.000 Menschen.“

Fazit

Entsiegelungsmaßnahmen und das Wappnen vor Wetterextremen haben in zahlreichen Gemeinden bereits lange vor den neuesten Diskussionen um den Bodenverbrauch begonnen. Schwammstädte könnten viele Folgen des Klimawandels, wie beispielsweise extreme Hitze in den Dörfern, abmildern und damit zur Gesundheit der Bevölkerung beitragen. Eine Strategie wie diese kann jedoch nicht auf alle Gemeinden gleichermaßen umgemünzt werden. Denn: nicht jeder Boden ist gleich beschaffen – das Projekt ist ein kostspieliges und somit bedarf es auch Maßnahmen wie einer Volksbefragung oder Safaris, um auch die Bürgerinnen und Bürger von den Maßnahmen zu überzeugen.

– B. STEINBÖCK

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