Kommentar
Mit einer bestimmten Regelmäßigkeit werden die Gemeinden mit dem Thema „Bodenverbrauch“ konfrontiert. Gerade die ländlichen Gemeinden stehen dabei oft in der Kritik, weil sie scheinbar sorglos mit ihren ureigensten Lebensräumen umgehen. Die am Land vorherrschende Wohnform des Einfamilienhauses ist den in den Städten lebenden Planern und ansässigen Institutionen ein Dorn im Auge. Vom Umweltbundesamt wird der Bodenverbrauch als „dauerhafter Verlust biologisch produktiven Bodens durch Verbauung für Siedlungs- und Verkehrszwecke, aber auch für intensive Erholungsnutzungen, Deponien, Abbauflächen, Kraftwerksanlagen und ähnliche Intensivnutzungen“ definiert.
Unbestritten ist, dass es einen jährlichen Zuwachs an Bodenverbrauch gibt, dieser aber seit 2009 kontinuierlich gesunken ist. Dass der Zielwert gemäß Regierungsprogramm 2020 noch nicht erreicht ist, soll auch nicht dementiert werden.
Unter den verschiedenen Arten der Bodenversiegelung stellen die Betriebsflächen den größten Anteil des jährlichen Bodenverbrauchs dar. Die Gründe, warum dieser problematisch ist, sind vielfältig. Einerseits wird argumentiert, dass Bodenverbrauch ökologisch und wirtschaftlich negative Folgen zeitigt und vor allem die Lebensmittelversorgungssicherheit Österreichs gefährdet. Gleichzeitig wird der Verlust von biologischen Funktionen des Bodens und der Artenvielfalt genannt. Zusammengefasst geht es also um die Nahrungsmittelproduktion im eigenen Land und die negativen Folgen für das Klima.
Gemeinden stehen am Pranger
Wenn es um den Bodenverbrauch geht, stehen eigenartigerweise immer die Landgemeinden am Pranger. Das ist zwar einerseits verständlich, weil es in den wenigsten Städten noch Grünflächen gibt, die landwirtschaftlich genutzt werden, andererseits aber hinterfragungswürdig, als wir doch in den vergangenen Jahrzehnten immer mit dem Thema der Landflucht konfrontiert wurden. Eine große Zahl von Bürgern und Bürgerinnen zieht in die Städte. Wien oder Graz wachsen jährlich im fünfstelligen Bereich. Das stellt die Städte klarerweise vor große Herausforderungen. Das Thema „leistbarer Wohnraum“ ist in aller Munde.
Mit einer Nachverdichtung im mehrgeschoßigen Wohnraum bzw. einer Innenverdichtung in Stadtzentren versucht man dem entgegenzuwirken. All dies ändert aber nichts daran, dass in den Städten Grünraum – und dies, obwohl Österreichs Städte hier sicherlich im Spitzenfeld Europas liegen – Mangelware ist. Und das Verdichten der Wohnhäuser und das Bauen in die Höhe bedingt natürlich auch, dass die Klimaänderung in den urbanen Räumen stärker wahrgenommen wird als am weiten Land.
Corona stoppte Zuzug in die Städte
Dieser Trend des Zuzugs in die Städte wurde aber im Zuge der Corona-Krise abrupt gestoppt. Lockdown, Homeoffice und Distance-Learning haben schnell vor Augen geführt, dass der überwiegend beengte Wohnraum in den Städten dafür nicht so geeignet ist. Ein auch international zu beobachtender Effekt verändert die Anforderungen an die Immobilien. Ein zusätzliches Arbeitszimmer ist plötzlich dringend nachgefragt und zumindest ein kleiner Garten ist in Zeiten der Pandemie viel wert. Der Trend zum Haus im Grünen erlebt eine neue Renaissance.
Natürlich lässt dies bei Umweltschutzorganisationen wie beim WWF Österreich die Alarmglocken schrillen. Viele zieht es in die sogenannten Speckgürtel rund um die Zentren. Allerdings können sich das die wenigsten leisten. Also bleiben nur die ländlicheren Gemeinden als Alternativen, um sich den Traum vom eigenen Haus im Grünen zu erfüllen.
Attraktivierung des ländlichen Raums braucht Fläche
In Deutschland wird schon ein Verbot von Einfamilienhäusern diskutiert. Gleichzeitig zeigen Studien (WIFO – Niederösterreich-Morgen), dass die Zukunft in den Regionen liegt, vorausgesetzt natürlich, dass die Infrastruktur passt. „Es gilt ländliche Regionen zu einem attraktiven Lebensort – auch für die jüngere Generation – zu machen“ so WIFO-Leiter Christoph Badelt.
Dass damit die Regionen Entwicklungspotenzial haben und dafür auch Flächen benötigen, liegt auf der Hand. Dabei geht es längst nicht mehr darum, neue Betriebsflächen für Einkaufscenter am Gemeinderand zu erschließen, sondern die Ortskerne zu stärken oder Siedlungslücken zu schließen.
Der Bestand in vielen Gemeinden ist nämlich so, wie er ist, und kann nicht von heute auf morgen geändert werden. Man könnte auch lang diskutieren, ob es nicht leichter ist, den Gebäudebestand am Land klimaneutral zu gestalten, als dies bei städtischen Wohnhäusern der Fall ist, oder vielleicht sogar ein Tabuthema ansprechen wie beispielsweise die Frage, ob nicht der Hausgarten für mehr Biodiversität sorgt als eine intensive Landwirtschaft.
Woher soll Energie kommen?
Wie sehr die Debatte interessengelagert geführt wird, zeigen auch die Diskussionen, wie wir die Energiewende herbeiführen können. Ohne näher darauf einzugehen, wie eine Reduktion des Energiebedarfs erreicht werden kann, wenn gleichzeitig Energieträger wie Gas und Öl verdrängt werden sollen und damit logischerweise ein Mehrbedarf an anderer Energie einhergeht, stellt allein das Ziel, die Ökostromproduktion zu erhöhen, eine gewaltige Herausforderung dar. Elf Terawattstunden (TWh) aus Photovoltaikanlagen, zehn TWh aus Windkraft, fünf TWh aus Wasserkraft und eine TWh aus Bioenergie werden sich ohne Landschaftsverbrauch nicht bewerkstelligen lassen.
Windkraftanlagen lassen sich zwangsläufig nicht in urbanen Räumen errichten. Dafür bedarf es Flächen am weiten, breiten Land. Auch wenn schätzungsweise die Hälfte des zusätzlichen Ökostroms aus Photovoltaikanlagen auf Gebäuden installiert werden kann, zeigen Berechnungen, dass es ohne großflächige Anlagen nicht gehen wird.
Auch wenn das Erneuerbare-Energie-Gesetz höhere Fördersätze für nicht agrarisch genutzte Flächen vorsieht, wird es ohne agrarisch genutzte Flächen nicht gehen. Eigenartigerweise hört man hier nichts davon, dass dadurch Flächen für die Produktion von Lebensmitteln verloren gehen. Es gibt offenbar einen guten und einen bösen Flächenverbrauch. Abgesehen vom vielfachen Widerstand der Bürger und Bürgerinnen gegen derartige Anlagen muss die Diskussion breiter und umfassender geführt werden. Jedenfalls sollte man endlich davon abkommen, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als Alleinverantwortliche für den Bodenverbrauch hinzustellen.
-W.LEISS
Über den Autor
Dr. Walter Leiss ist Generalsekretär des Österreichischen Gemeindebundes.