Infrastruktur

07.07.2021

Der Boden, auf den wir bauen: Was tun gegen den Flächenfraß?

Der sogenannte Flächenfraß ist im öffentlichen Diskurs derzeit allgegenwärtig: Die Medien überschlagen sich geradezu vor Geschichten über die von Bodenverbrauch Betroffenen. Diskussionen rund um Bodenversiegelung beschränken sich nicht mehr auf Raumordnungsexperten und politische Entscheidungsträger, sondern beschäftigen mittlerweile die Landwirtschaft ebenso wie die – teils sehr überschwänglich – interessierte Bevölkerung.

Flächenfraß in aller Munde

Vor diesem spannungsgeladenen Hintergrund fand am 1. Juni 2021 eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Stoppt den Flächenfraß“ unter Moderation des Landwirtschaftsmagazins „top agrar“ statt. Viele Aspekte blieben dabei jedoch unberücksichtigt.

Über das Thema Bodenverbrauch diskutierten Vertreter aus Politik, Landwirtschaft, Raumplanung und Umweltschutz. Zwar schienen sich alle über das gemeinsame Ziel – nämlich den Bodenverbrauch in Österreich bis 2030 von aktuell zwölf Hektar auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren – einig. Doch die Ansätze, wie dieses Ziel zu erreichen sei, könnten nicht unterschiedlicher sein.

Unterschiedliche Ansätze

Während Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger im Kampf gegen den Bodenverbrauch die Leerstandsstrategie ansprach, forderte der Generaldirektor der Hagelversicherung Kurt Weinberger ein absolutes Bauverbot und eine Verlagerung der Kommunalsteuer auf Bundesebene. Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl plädierte für mehr Eigenverantwortung der Landwirte und Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger kritisierte die seiner Ansicht nach übertriebene Ökologisierung der Landwirtschaft.

Die Widersprüche zwischen den ­einzelnen Interessen wurden besonders deutlich, als Klimaschutzministerin Leonore Gewessler die Maßnahmen für die Energiewende verteidigte und Raumordnungsexperte Gernot Stöglehner klarstellte, dass diese ohne PV-Anlagen auf Freiflächen nicht zu schaffen sei.

Der steirische Landesrat und Vorsitzende der Agrarlandesräte-Konferenz Hans Seitinger sprach den Wunsch nach neuen Instrumenten in der Raumordnung aus, während andere – etwa Zuseher im Live-Chat zur Diskussion – diese eingeschränkt sehen wollten. Dazu kam ein Trio aus Landwirten, die sich vom „Flächenfraß“ in ihrer Existenz bedroht fühlten und der Politik unzureichenden Schutz von Agrarflächen vorwarfen.

Florianiprinzip bei der Energieerzeugung

So vielseitige Positionen auch vertreten waren – viele Aspekte blieben von der Diskussion vollkommen unberührt. Die im Regierungsprogramm festgesetzten Ziele – beispielsweise die gemeinsame Bodenschutzstrategie und das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – sind aus Gemeindesicht durchaus zu begrüßen, doch viele Eckpunkte scheinen nicht zu Ende gedacht:

So sind Anlagen zur Erzeugung von erneuerbarem Strom zwar grundsätzlich gewünscht, aber wenn es um einen möglichen Standort in der eigenen Gemeinde geht, werden solche Anlagen ­immer wieder misstrauisch betrachtet und sogar abgelehnt, wie man am Beispiel der Debatte zur Errichtung eines Biomassewerks in einer niederösterreichischen Gemeinde erst kürzlich beobachten konnte. Und auch beim Bodenschutz steht man schnell vor der Herausforderung, dass zwar ausreichend gewidmetes Bauland zur Verfügung steht, aber leistbarer Baugrund für junge Familien oftmals ein Wunschtraum bleibt.

Problem unbebaute gewidmete Grundstücke

Nicht die Neuwidmungen sind das Problem – hier verfügen die Gemeinden schon seit Jahren über moderne Instrumente, Flächen effizient zu nutzen. Problematisch sind in vielen ­Gemeinden die unbebauten gewidmeten Grundstücke, die vor vielen Jahren ohne Auflagen verkauft wurden, sowie zahlreiche leer stehende, ungenutzte Häuser. Diese Flächen zu mobilisieren und Leerstände zu beleben, entpuppte sich in den letzten Jahren als die Raumordnungs-Challenge Nummer eins.

Dazu kommen aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, die durch die Corona-Krise befeuert wurden. In der Arbeitswelt und in puncto Digitalisierung brachte die Pandemie größere Entwicklungen auf den Weg: Der Glasfaser-Ausbau geht Hand in Hand mit zunehmenden Tendenzen zum Homeoffice.

Zuzug aufs Land macht neue Wohnformen nötig

Die Erfahrungen aus den Lockdowns haben zudem die Vorzüge des Landlebens hervorgehoben und vor allem bei vielen jungen Menschen lässt sich der Trend, zurück aufs Land zu ziehen, beobachten. Gerade für sie müssen nun unterschiedliche bedarfsgerechte Wohnungstypen zur Verfügung stehen.

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Einfamilienhäuser im Grünen sind heute mehr begehrt denn je zuvor. Die Politik muss zwischen Bodenschutz und der Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum abwägen. ©-drubig-photo-Fotolia.com

Hier sind die Gemeinden gefordert, entsprechende Angebote bereitzustellen. Dass es nicht immer das Einfamilienhaus im Grünen sein muss, ist schon seit Langem im Bewusstsein der lokalen Entscheidungsträger angekommen. Doch sollte man dies auch vor dem Hintergrund von strukturell schwächeren Regionen betrachten, die seit Jahren mit Abwanderung und Landflucht zu kämpfen haben. Für sie bildet leistbares Bauland oft den wichtigsten Konkurrenzfaktor.

Kampf um Einwohner vs. Bodenschutz

Es ist die Aufgabe der Gemeinde, das unmittelbare Lebensumfeld von Bürgerinnen und Bürgern ansprechend zu gestalten. Es ist daher auch wenig nachvollziehbar, wenn in Gemeinden, die um jeden einzelnen Einwohner ringen müssen, ein erfolgversprechendes Projekt zugunsten des Bodenschutzes verhindert wird.

Letztendlich ist es die Bevölkerung vor Ort, die womöglich um die Entstehung von wertvollem Wohnraum oder neue Arbeitsplätze gebracht wird. Es sind auch die Bürgerinnen und Bürger selbst, die in den niederschwelligen Strukturen der Kommunalpolitik meist unweigerlich in Entscheidungsprozesse involviert sind. Sie entscheiden direkt oder indirekt durch ihr Wahlrecht mit – größeren Bauprojekten gehen meist jahrelange Diskussionen voraus.

Besonders bei der Umwidmung von agrarischen Nutzflächen zu Bauland wird eng mit den Grundbesitzern zusammengearbeitet und die von einzelnen Landwirten gefürchtete Enteignung, der immer jahrelange Verhandlungen vorausgehen, ist der allerletzte Schritt. Abgegolten wird mit großzügigen Gegenangeboten, selbst wenn der Boden für die agrarische Nutzung überhaupt nicht geeignet ist.

Ertragreiche landwirtschaftliche Flächen zu schützen, ist hingegen im Interesse aller – vor allem der Städte: Sie sind bei der Nahrungs-, Trinkwasser-, und Energieversorgung, der Abfallentsorgung sowie der nicht zu unterschätzenden körperlichen und seelischen Erholung auf den ländlichen Raum angewiesen.

Soll sich das Land nicht weiterentwickeln?

All diese Dinge benötigen Boden. Während urbane Zentren seit Jahrzehnten verbaut werden, will man nun den Landgemeinden Ökologisierung und Baustopps vorschreiben, um die Grundversorgung der Städte zu sichern. Ist es womöglich sogar im Interesse der Stadt, dass sich das Land nicht weiterentwickelt?

Tatsächlich geht es nicht darum, die Stadt gegen das Land auszuspielen oder umgekehrt – um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten, braucht es überregionale Zusammenarbeit. Nur durch eine sorgfältig abgestimmte gemeinsame Planung können die Gemeinden ihren Bürgerinnen und Bürgern eine flächenschonende, aber auch attraktive Versorgung gewährleisten.

-E. SCHUBERT

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