Natürlich hat man auch gleich die Lösungen parat, etwa eine gezielte Innenentwicklung und Nachverdichtung, ein Leerstandsmanagement und eine aktive Bodenpolitik. Dem WWF ist es ein besonderes Anliegen, den „rücksichtslosen Raubbau an der Natur, der auch vor den letzten Alpentälern nicht haltmacht“, zu verhindern. Hochsensible Naturlandschaften und wichtige Lebensräume würden dadurch vernichtet und die Biodiversitätskrise weiter befeuert. Nicht zuletzt meldet sich auch die Hagelversicherung zu Wort, die Sturmschäden, steigende Temperaturen in unserem Land, aber auch das Sinken der Grundwasserspiegel dem rasanten Bodenverbrauch zuschreibt.
Sind die Bürgermeister für alles verantwortlich?
Es ist klar, dass jede dieser Interessensvertretungen die Interessen ihrer Einrichtung vertritt. Für die einen ist es die Natur, die zu schützen, die Artenvielfalt oder die Biodiversität, die zu erhalten ist, für den anderen ist es die Aufrechterhaltung der Ernährungssicherheit bzw. als Versicherer die Aufrechterhaltung des Bestandes an versicherten Flächen, um eine bessere Risikoverteilung zu erzielen.
Allen gemeinsam ist, dass sie für diese Entwicklung den Bürgermeister als Verantwortlichen erblicken: Die Bürgermeister sind es laut ihnen, die die Voraussetzungen schaffen, dass Wohnobjekte errichtet werden und Betriebsansiedlungen erfolgen. Ja selbst für Kraftwerksprojekte oder Infrastrukturprojekte vom Kreisverkehr bis zum Lobautunnel und sogar Bahnprojekte tragen die Bürgermeister die Verantwortung.
Dass dies nicht der Rechtslage entspricht, kümmert allerdings niemanden. Die Bürgermeister sind zwar Baubehörde, aber die Kompetenz in Bereichen der Flächenwidmung obliegt dem Gemeinderat. Darüber hinaus handelt es sich beim Flächenwidmungsplan rechtlich um eine Verordnung und einen sogenannten genehmigungspflichtigen Rechtsakt. Die Genehmigungsbehörden sind die Landesregierungen. Das bedeutet, dass ohne Genehmigung der Landesregierung kein Flächenwidmungsplan erlassen werden kann. Der Zustand, den wir heute vorfinden, ist daher entweder historisch gewachsen oder in den letzten Jahrzehnten mit Zustimmung der Landesregierungen erfolgt. Für überregionale Projekte und die überörtliche Raumplanung sind von vornhinein die Länder bzw. der Bund zuständig.
Gemeinden Kompetenzen entziehen?
Es ist schon richtig, dass für die Flächenwidmungspläne die Gemeinden zuständig sind und daher Änderungen in diesen Plänen ihren Ausgangspunkt in den Gemeinden haben. Der Gemeindeebene und fälschlicherweise dem Bürgermeister als Alleinentscheider die Fähigkeit abzusprechen, im Interesse der Bürger und Bürgerinnen der Gemeinde zu handeln, ist schon ein starkes Stück.
Zieht man nämlich aktuelle Umfragen zum Vertrauen in die Politik heran, so ist es noch immer die Gemeindeebene weit vor der Landes- und Bundesebene, die das höchste Vertrauen der Bevölkerung genießt. Dass nicht immer alle Interessen und Wünsche berücksichtigt werden können, liegt auf der Hand. Dafür ist unsere Gesellschaft zu egoistisch geworden. Fast jeder will wohl der Letzte gewesen sein, der noch eine Genehmigung erhalten hat.
Die Forderung, den Gemeinden die Kompetenz zu entziehen und auf die Länder bzw. auf den Bund zu übertragen, wie dies von den Interessensvertretungen verlangt wird, ist damit weder sachgerecht noch zweckmäßig. Sind doch die Gemeinden die bürgernächste Gebietskörperschaft und ihre Repräsentanten genauso wie die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen alle demokratisch gewählt und legitimiert.
Mangelnde Sachkenntnis?
Wenn diese Forderung von den verschiedensten Interessensvertretungen erhoben wird, so mag das noch mit mangelnder Sachkenntnis erklärbar erscheinen. Dies allerdings von einem Bundesminister zu vernehmen, der zuvor jahrelang in der Landespolitik tätig war, überrascht doch einigermaßen. Die Kompetenzen der Gemeinde in der Raumordnung als Irrtum der Geschichte zu bezeichnen, der überdacht gehöre, ist schon mehr als fragwürdig und hat einen berechtigten Aufschrei der Gemeinden nach sich gezogen.
Das Argument allerdings, „die Bürgermeister seien zu nahe dran an den lokalen Interessenslagen, um sich gegen kommerzielle Ansprüche wehren zu können“, ist nicht mehr tolerierbar. Die Gemeinden waren in den vergangenen zwei Jahren wohl nahe genug daran, um eine Testinfrastruktur aufzubauen und Impfzentren zur Verfügung zu stellen. Nahe genug offensichtlich auch, um viele Freiwillige zu mobilisieren, um Aufgaben wahrzunehmen, für die sie nicht zuständig sind.
Den Bürgermeistern und Gemeindemandataren die Fähigkeit abzusprechen, über die Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensumfeldes zu entscheiden, kann so nicht hingenommen werden.
Plädoyer für mehr Sachlichkeit
Dass manche zu diesen Aussagen applaudieren, kann nur mit mangelndem Sachverstand erklärt werden. Die Lebensverhältnisse in den Zentralräumen sind andere als in den ländlichen Regionen. Und wenn man glaubt, die Lebensräume in den vielen Gemeinden Österreichs zentral aus Wien steuern zu können, ist man auf dem Irrweg. Hilfreicher wäre es, würde man den Gemeinden endlich die Instrumente an die Hand geben, um eine Baulandmobilisierung, Innenraumverdichtung, Belebung der Ortskerne und vieles mehr zur Verfügung zu stellen.
Gute Ratschläge oder Drohungen sind hier zu wenig. Jedenfalls sollte mehr Sachlichkeit in die Debatte einkehren und es sollten nicht ständig die Bürgermeister als Verantwortliche gebrandmarkt werden.
-W. LEISS
Zum Autor
Dr. Walter Leiss ist Generalsekretär des Österreichischen Gemeindebundes.