Frau Staatssekretärin, wie sieht es denn in Österreich mit der Jugendbeteiligung aus? Ist für Jugend in der Politik noch ein weiter Weg zu gehen beziehungsweise, ist da noch viel zu tun?
Claudia Plakolm: Ich sage immer, dass es nicht so sein soll wie bei einem Fußballspiel, bei dem man die Jungen oft „ewig“ auf der Ersatzbank sitzen und zuschauen lässt, wie die Älteren Tore machen.
Die Jugendlichen sind diejenigen, die mit den Konsequenzen von Entscheidungen am längsten leben müssen. Das betrifft jede Entscheidung, die in der Politik getroffen wird. Jugendpolitik ist die Politik, durch die junge Menschen am längsten mit den Auswirkungen leben müssen. Das betrifft alle Ebenen, egal ob im Gemeinderat, im Landtag, im Parlament oder in der Regierung und betrifft auch alle Themen, egal ob es um Steuerreformen, Geld oder ob es um Hochschulpolitik geht.
Gerade in puncto Jugendbeteiligung haben wir aber Gott sei Dank viele, viele Modelle, wie wir die direkte Demokratie stärken wie Schülerparlamente oder Lehrlingsparlamente. Das gab es bereits auf Länderebene, aber ganz oft auch auf Gemeindeebene, wo es viel bringt, wenn man junge Menschen beteiligt, weil man umgekehrt das Interesse an Politik fördert, ein Punkt, den viele Jugendstudien bestätigen.
Der Demokratie-Monitor sagt, dass 89 Prozent der jungen Leute Interesse an der Politik haben. Dieses Engagement ist der Punkt, den wir fördern müssen.
Interesse an der Politik – ist da Bundes-, Landes- oder Kommunalpolitik gemeint? Gibt es da Unterscheidungen?
Es ist natürlich leichter, sich dort einzubringen, wo Politik die Menschen am direktesten betrifft – und das ist auf der kommunalen Ebene. Die Erfahrung habe ich selbst in meiner Zeit als Gemeinderätin in meinem Heimatort Walding (OÖ, Mühlviertel, Anm. d. Red.) immer wieder gemacht. Junge Leute können leichter durch unterschiedlichste Beteiligungsformen oder einfach durch Projekte mitgenommen werden. Am besten dort, wo nicht lange um den heißen Brei herumgeredet wird, sondern wo auch angepackt wird.
Die Jugend nicht nur mit Parlamenten, wo sich Ideen von den Jungen geholt werden, mitnehmen, sondern die Jungen die Projekte umsetzen lassen. Ist das das Rezept?
Das funktioniert gut. Je direkter oder je unmittelbarer die Politik auf junge Leute zugeht, desto besser. Das war auch bei mir so, als ich dann auch für den Gemeinderat kandidiert habe und gewählt wurde.
Da komme ich zu dem Punkt, dass der ländliche Raum für junge Leute nur dann eine Perspektive hat, wenn die Jungen da auch im Ort gehalten werden können. Es geht darum, die Jungen nach der Ausbildung auf der Uni oder nach der Hochschule wieder nach Hause in die Gemeinde zu bekommen. Wie schafft man es, dass die Leute wieder nach Hause kommen?
Wir brauchen die drei „W“, wie ich das nenne. Das sind Wohnraum, WLAN und Wurzeln.
Wohnraum ist logisch. Es muss möglich sein, dass sich junge Leute eine eigene Wohnung oder ein Eigenheim erarbeiten können. Es geht da um die Möglichkeit, leistbare Kredite zu bekommen und darum die Nebenkosten wie Grunderwerbsteuer und Eintragungsgebühr ins Grundbuch abzuschaffen oder ordentlich zu senken. Da bin ich zurzeit gemeinsam mit dem Finanzminister an Lösungen dran.
Aber es geht nicht um die Abschaffung der Grunderwerbsteuer? Oder?
Doch, genau darum geht es uns. Das leistbare erste Eigenheim ist ein großes Ziel. Da geht es um 3,5 Prozent, die man als Steuererleichterung jungen Leuten auf den Weg zum ersten Eigentum mitgeben kann.
Das zweite ist WLAN. Wir brauchen eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, wir brauchen schnelles Internet, damit Arbeiten und Leben auf dem Land möglich sind.
Und das dritte W steht für „Wurzeln“. Junge Leute identifizieren sich stark mit dem Ort, wo sie aufgewachsen sind. Und noch viel stärker, wenn sie in Vereine integriert sind wie beispielsweise beim Musikverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Absolut. Die Sache ist nur, dass es Gelder der Gemeinden sind, die da „verteilt werden“. Wenn schon, dann muss man das irgendwie kompensieren.
Ich glaube, das Ziel eint uns alle miteinander, egal welche Gebietskörperschaft. Es geht darum, dass junge Leute eine Perspektive auf ein Eigenheim haben. Und ich glaube, das ist nicht nur in puncto eigene vier Wände wichtig, sondern kann auch zentraler Motivator sein für die Rückkehr der Jungen oder junger Familien in ihre Heimatgemeinde. Und das muss auch im Interesse zahlloser Gemeinden sein. Die Jungen müssen das Bewusstsein haben, wenn sie 40 Stunden arbeiten, dass sie sich auch etwas leisten können.
Das andere sind Detailfragen, die vermutlich in den Verhandlungen zum Finanzausgleich auch mit dem Koalitionspartner besprochen werden müssen. Leistbares Wohnen ist jedenfalls ein zentrales Motiv für junge Leute – und da muss es auch um Eigentumsgründung gehen.
Was sind denn eigentlich die Ziele der Jungen? Oder anders, was ist die ‚neue Motivation‘ der jungen Menschen heute, was sind deren Ziele?
Ich glaube, dass durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie, wie Kurzarbeit oder Homeoffice und weil man weniger reisen konnte, insgesamt weniger Privatleben stattgefunden hat und dass man diese Dinge jetzt wieder mehr schätzt und im Hier und Jetzt lebt.
Es herrscht aber auch viel Unsicherheit vor, ob die Pandemie wirklich vorbei ist oder ob da noch etwas kommt, wie es ganz allgemein in Europa weitergeht und Wohnen wird auch nicht günstiger.
Deshalb geht es mir darum, dass sich Junge die 4,6 Prozent Nebenkosten sparen können beim ersten Eigenheim. Da geht es um mehrere Zehntausend Euro, mit denen man junge Leute auf einem Schlag entlasten kann. Denn für die Jungen geht es im Kern um die Grundsatzfrage: Wenn ich mir sowieso nichts darum leisten kann, warum sollte ich dann mehr als 30 Stunden arbeiten? Die Frage müssen wir beantworten.
Eigentum, Eigenheim leisten – wie bringe ich das mit dem Bodenverbrauch, für den die Gemeinden ja immer kritisiert werden – unter einen Hut?
Es ist definitiv ein Thema, wie man nachhaltigen Wohnraum schaffen kann und wie man vor allem Sanierung attraktiver machen kann. Ich bin der Überzeugung, dass wir hier den Wettbewerb der besten Ideen starten müssen, weil manche Bundesländer die Nase weiter vorne haben. Niederösterreich und Oberösterreich sind in der Sanierungsquote relativ weit vorne.
Klar ist auch, dass es einen finanziellen Unterschied machen muss, ob ich Bauland auf der grünen Wiesen haben will oder ob ich das Haus von der Oma nach den eigenen Vorstellungen herrichte. Wenn sich das finanziell „nur“ die Waage hält, wird wohl jeder neu bauen. Steuerliche Anreize würde das Sanieren von Altbestand attraktiver machen und würde gleichzeitig deutlich nachhaltiger sein.
Haben wir dafür zu viele Vorschriften? Ortsbildgestaltung, Denkmalschutz und so weiter. Oft darf man ein Haus in der Stadt oder eben in Ortszentrum gar nicht groß herrichten.
Sicher, in vielen Punkten, was die Vorschriften beim Bauen oder Sanieren betrifft, sind wir Weltmeister.
Die Vorschriften für eine Wohnbauförderung zum Beispiel gehören zu den Treibern der Baukosten. Das treibt die Kosten in die Höhe: Stellplätze, ein Lift für die Barrierefreiheit – es gibt da nicht gerade viel Handlungsspielraum, gerade bei Eigentumswohnungen.
Auch die Vorschriften für das Bauen im Ortszentrum, wenn man Leerstände übernehmen will und diese nach eigenen Vorstellungen herrichten will, müssen attraktiver für Junge werden. Ich glaube, das Wichtigste für Gemeinden oder das Beste, was einer Gemeinde passieren kann, ist, dass junge Leute im Ortszentrum ein bestehendes Gebäude herrichten wollen. Man bräuchte ein realistisches Augenmaß.
Da geht es ja nicht nur um Bundesvorschriften, sondern auch um Landesvorschriften mal Neun. Das ist das Bohren sehr harter Bretter.
Definitiv. Und wir müssen auch mit dem ‚Goldplating‘ aufhören, dass wir EU-Regeln zu streng umsetzen.
Seit August ist die Verordnung der Finanzmarktaufsicht in Kraft, dass man 20 Prozent Eigenmittel braucht, um einen Kredit überhaupt aufnehmen zu können. Das ist in meinen Augen realitätsfremd und gefährlich. Welcher junge Mensch hat, wenn er oder sie sich Eigentum schaffen will, so viel Geld auf der Seite. Die durchschnittliche Eigentumswohnung in Österreich hat 80 Quadratmeter und kostet 400.000 Euro. Das heißt, ich brauche 80.000 Euro. Das ist illusorisch, wenn ich am Beginn des Erwerbslebens stehe.
Es kann ja auch nicht Sinn der Sache sein, dass sich Junge – wie ich aus Tirol höre – Kredite in Deutschland aufnehmen, um diese 20-Prozent-Quote in Österreich zu umgehen.
Zu den Klimaprotesten und zum Klimaschutz. Die Jungen protestieren am Freitag für den Klimaschutz und am Samstag protestieren die Eltern gegen die erneuerbaren Energieanlagen, wie immer wieder gesagt wird …
Wir leben in Zeiten, in denen man keinem mehr erklären muss, welche Auswirkungen der Klimawandel hat. Wir haben jeden Sommer mehr Dürreperioden, die Winter werden immer wärmer. Gerade in Österreich unternehmen wir sehr viel in puncto Klimaschutz, auf allen Ebenen, gerade auch auf der Gemeindeebene.
Es muss uns klar sein, dass man Wohlstand sichern kann, wenn wir auf Klimaschutz setzen. Denn Beschäftigung und Arbeitsplätze werden gesichert, wenn wir auf Innovationen im Klimaschutz setzen. Das geht Hand in Hand und hoffentlich schauen sich andere da was von uns ab. Aber wir werden das Weltklima nicht retten, wenn wir in Österreich auf die Avocado am Frühstückstisch verzichten oder nicht mehr nach Griechenland auf Urlaub fliegen. Denn China ist allein für 30 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich.
Die Notwendigkeit für mehr Klimaschutz sehen wir täglich. Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Krieg in der Ukraine begonnen und der hat uns ja die letzten zwölf Monate vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass wir energieautark in Österreich produzieren können. Weg von russischem Gas und fossilen Energieträgern zu kommen, werden wir nur schaffen, indem wir auf die guten geografischen und geologischen Gegebenheiten in unserem Land setzen. Das heißt Wasserkraft, das heißt Windkraft, das heißt Solar und das heißt Biomasse genauso.
Wenn wir das alles jetzt Revue passieren lassen: In welche Zukunft geht der ländliche Raum?
Ich wünsche mir für die Zukunft des ländlichen Raums, dass junge Menschen dort Perspektiven haben, dass sie dort ihre Wurzeln mit Vereinen, mit ehrenamtlichem Engagement leben können. Dass sie leistbaren Wohnraum vorfinden, dass die Infrastruktur, die digitale Infrastruktur, gegeben sein wird. Auch das Thema Mobilität gehört dazu. In Wien hat jeder eine U-Bahn vor der Tür, am Land schaut‘s anders aus. Man kann das belächeln oder ernsthaft mit Lösungen angehen.
Nur dann hat der ländliche Raum Zukunft. Daran müssen wir auf allen Ebenen arbeiten und ich werde weiterhin eine laut hörbare Stimme für den ländlichen Raum in Wien sein.
Die Landtagswahlen in Niederösterreich brachten herbe Verluste für ÖVP und SPÖ und hohe Gewinne der FPÖ. Einer der Gründe dürfte auch die Migrationspolitik gewesen sein. Mit dem Thema punkten ausländerfeindliche Parteien in ganz Europa auch bei den Jugendlichen. Was ist Ihre Sicht darauf?
Ja, Asyl und Migration sind für mich insofern Themen als Jugendstaatssekretärin, bei denen wir eine ordentliche Schieflage haben, insbesondere bei den jungen Menschen. Und das versuche ich seit einiger Zeit anzusprechen. Wir hatten fast 109.000 Asylanträge im vergangenen Jahr in ganz Österreich. Wenn wir nur auf die Minderjährigen schauen, sehen wir, dass mehr als 80 Prozent von jungen Burschen gestellt wurden.
Das zeigt eine Schieflage des Systems auf. Ich glaube, es braucht einen Verteilungsschlüssel, um die Flüchtlinge gerechter aufzuteilen.
Eines unserer Probleme ist, dass Österreich ein kleines Land ist. Auf 100.000 Einwohner gerechnet haben wir den meisten Zustrom von Asylwerbern.
Drei Punkte sind aus meiner Sicht ausschlaggebend: Erstens müssen wir den enorm löchrigen EU-Außengrenzschutz stärken. Zweitens muss es Hilfe vor Ort geben. Und Drittes brauchen wir raschere Asylverfahren. Je schneller Entscheidungen getroffen werden, desto eher können wir den Menschen eine Perspektive geben. Wir haben derzeit zwischen 10.000 und 20.000 Tunesier bzw. Inder in den Verfahren. Die haben keine Perspektive auf ein Bleiberecht.
Das ist auch im Fünf-Punkte-Plan des Innenministers (Gerhard Karner, Anm. d. Red.), der da ganz konkret sagt: Es muss genauso wie die „Vertriebenen-Richtlinie“ eine Richtlinie geben, damit man die aus sicheren Herkunftsländern kommenden und nicht Asyl-Berechtigten auch schneller wieder heimschicken kann.
Sollten wir nicht mehr soziale Migration bis hin zur Arbeitsmigration betreiben? Immerhin haben wir mehr als genug Arbeitsplätze zu besetzen. Von der Wirtschaft kommen händeringend Hilferufe, dass keine Lehrlinge und keine Mitarbeiter zu finden seien.
Wir müssen klar unterscheiden zwischen dem, was qualifizierte Zuwanderung betrifft und zwischen jenen, die üblicherweise als Asylwerber nach Österreich kommen.
Mit der Rot-Weiß-Rot-Karte haben wir auch ein Instrument, mit dem wir qualifizierte Zuwanderung zulassen können. Hier haben wir die Zugänge zum Arbeitsmarkt gerade reformiert. Ausbildungen werden leichter anerkannt, vor allem in Mangelberufen. Und die dazu gehörenden Listen werden regelmäßig überarbeitet.
Vor allem in Mangelberufen und in Bereichen, wo wir Fachkräfte und Leute mit abgeschlossener Ausbildung aus Drittstaaten auch abseits eines Studiums anerkennen und Menschen gezielt in den Arbeitsmarkt in Österreich integrieren können. Auch bei den Asylwerbern mit positivem Bescheid bin ich der Meinung, dass wir sie rasch in den Arbeitsmarkt bringen müssen.
Derzeit haben wir 35.000 asylberechtigte Arbeitslose in Österreich, die bei uns arbeiten dürften, weil sie schon einen positiven Bescheid haben. Sie müssen aus meiner Sicht einen ordentlichen Beitrag leisten in Österreich und arbeiten gehen.
– H. BRAUN (Quelle: Kommunal