Die traditionelle Fach- und Bildungsreise führte eine Abordnung des Österreichischen Gemeindebundes vom 26. bis 28. April nach Schweden. Genauer gesagt in die Hauptstadt Stockholm und die Region. Schweden wird ja immer wieder als Vorbild in verschiedenen Politikfeldern genannt, sei es bei der Digitalisierung, bei der Transparenz oder bei der Kinderbetreuung. Der Blick hinter der Kulissen und das Gespräch mit vielen Kommunalvertretern zeigt aber ein durchaus differenzierteres Bild.
Starke dezentrale Verwaltung
Schon der Blick aus dem Flugzeug beim Landeanflug auf Stockholm zeigt ein wasser- und inselreiches Land, das mit vielen landschaftlichen Schönheiten punkten kann. Tatsächlich gibt es im 410.000-Quadratkilometer großen Schweden mehr als 220.000 Inseln und 96.000 Seen. Dementsprechend groß ist auch die „Bootsdichte“ im Land. Allein in der fast 1-Million-Einwohner-Hauptstadt Stockholm soll es 200.000 private Boote geben. In der parlamentarischen Monarchie gibt es insgesamt 290 Kommunen, die – im Vergleich zu Österreich – nicht nur größer, sondern auch mit viel mehr Kompetenzen und auch Finanzen ausgestattet sind. Die kleinste Gemeinde Schwedens hat etwa 2.500 Einwohner auf einer Fläche von 1.360 km². Schweden hat eine lange Tradition eines starken dezentralen Systems mit einer starken lokalen Verwaltung. So spielt auch die Bürgerbeteiligung in den Kommunen eine große Rolle. Regelmäßige Versammlungen mit den Bürgern sorgen für Transparenz. Die Bürgermeister (Gemeindevorsitzende: „kommunstyrelsens ordförande“) werden vom Gemeinderat („kommunfullmäktige“) gewählt. In Schweden gibt es insgesamt 14.000 gewählte Gemeinderäte. Alle vier Jahre finden Wahlen auf allen Ebenen statt.
Am Beginn der Reise stand eine kurze Stadtführung mit Besichtigung des Rathauses, wo die Nobelpreis-Verleihungen stattfinden und eine Schifffahrt im sogenannten Stockholmer „Schärengarten“, eine reizvolle Landschaft mit mehr als 30.000 Inseln, direkt vor den Toren der Stadt. Die Stadt selbst wurde nie durch Krieg zerstört und bietet daher einige architektonische Highlights. Die letzten blutigen Auseinandersetzungen in der Stadt gab es im Jahr 1510 im sogenannten Stockholmer Blutbad. So findet sich überall Alt- neben Neubau und natürlich der bekannte „Bauhaus-Stil“ der 1940er Jahre, der in Schweden Funktionalismus genannt wird. Ein weiteres Highlight ist das berühmte Vasa Museum, wo man das im Jahr 1628 bei der Jungfernfahrt gesunkene königliche Kriegsschiff Vasa im Original besichtigen kann. Jedenfalls ein imposanter und beeindruckender Anblick. Ein Wort noch zur schwedischen Mentalität: Schon beim Ankommen wurde uns klar, die Schweden nutzen nicht nur ständig das Du-Wort, sie sind auch geduldiger und viel ruhiger. Stress und unnötige Aufregung sind offenbar keine Kategorien im schwedischen „Way of life“. Viele Schweden beherrschen auch in Grundzügen die deutsche Sprache, da sie als Fremdsprache in den Schulen gelehrt wird.
Gemeinden in Finanz-Englage
So viel zu den Besichtigungen. Im Fokus der Bildungsreise stand natürlich der intensive Austausch mit den schwedischen Kolleginnen und Kollegen. Den Startschuss machte ein Treffen mit dem Vizepräsidenten Leif Sandberg des schwedischen Gemeindeverbandes (SALAR) und seinen Kollegen, der alle Gemeinden und die 21 Regionen vertritt und auch Arbeitgeber der Gemeindebediensteten ist. Insgesamt sind über den Verband mehr als 1,2 Million Menschen angestellt, was SALAR zum größten Arbeitgeber Schwedens macht und 25 Prozent des BIP erwirtschaftet. Die schwedischen Kommunen kämpfen aktuell mit dem wirtschaftlichen Einbruch. So haben die Kommunen zwar umfangreiche Steuereinhebungsrechte, aber bekommen dann vom Staat keine Kompensation, wenn die Wirtschaftsleistung zurückgeht, und damit Steuereinnahmen sinken. So fehlen den Gemeinden etwa 2,2 Milliarden Euro (24 Milliarden Kronen) im heurigen Jahr. Außerdem fehlen auch allerorts Fachkräfte. Im öffentlichen Bereich würden eigentlich 188 Prozent der Schulabgänger gebraucht. Daher will man auch mit gezielter Zuwanderung neue Personengruppen anwerben. Auch die Gemeinden sind bei der Integration alleine gefordert.
Teuerung und Krieg setzen auch den Wohnungsmarkt unter Druck. Im ganzen Land gibt es einen Mangel an Wohnraum, auch in den ländlichen Regionen. Baukostensteigerungen von zuletzt plus 16 Prozent erhöhen den Druck. Die Planungshoheit für neue Wohnbauten liegt bei den Gemeinden, die in eigenen Wohnbaugesellschaften aktiv werden. Genossenschaftlichen Wohnbau kennt man hingegen nicht.
Bei Digitalisierung ist Schweden weit vorne
Beim Glasfaserausbau ist Schweden Österreich meilenweit überlegen. Die 200 lokalen Netze gehören den Gemeinden und 125 Anbieter verkaufen über diese Netze ihre Angebote. Mittlerweile sind 84,5 Prozent aller Haushalte ans Glasfaser angeschlossen. Ein Grund für das große Digitalisierungsverständnis liegt auch darin, dass es vom Staat Anfang der 1990er-Jahre einen Zuschuss für den Kauf von privaten PC’s gab. Im ländlichen Raum wird auch in Schweden aktuell darüber diskutiert, ob jedes Haus mit Glasfaser angeschlossen werden kann, oder ob nicht mobile Netze kostengünstiger wären. Der Umgang mit Daten ist in Schweden auch in Sachen privater Daten ein völlig anderer. So findet man im Internet ganz selbstverständlich die Steuerdaten des Nachbarn, seine Haustiere und seinen Familienstand. Wichtiges Thema für die Gemeinden ist vor allem die Standardisierung von Daten und damit einhergehend auch das Vertrauen in die Daten.
Im Fokus der Bildungsreisen steht neben dem inhaltlichen Austausch mit den Partnerverbänden immer auch der Blick in die Gemeinden. Am Programm standen Besuche in den Gemeinden Värmdö und Nacka im Ballungsraum Stockholms. Der erste Stopp führte uns nach Värmdö, eine Kommune mit 40.000 Einwohnern, 134 Inseln und 181 km². Bürgermeister Carl Kangas empfing uns in einer seiner Schulen, die eine Pilotschule in Sachen „Smarte Schule“ ist. Generell muss man feststellen, dass Schweden als kinderfreundliches Land gilt. Für Männer ist es selbstverständlich auch Elternurlaub zu nehmen. Sitzungen spätabends sind verpönt, und die Beschäftigungsquote der Frauen ist höher. Auch im Schulsystem gibt es breite Angebote für frühe Betreuung. So können Kinder ab dem 1. Lebensjahr in die „Vorschule“ (bis zum 6. Lebensjahr) gehen. Eltern haben das Recht jede Schule frei zu wählen. Die Schulen bekommen dann das Geld nach Anzahl der Schüler zugewiesen.
Wettbewerb zwischen Schulen und Gemeinden
Nun zurück zu unserer Schule. Das Motto der Direktorin: „Technik wird unser Freund!“ Die smarte Schule will die digitalen Möglichkeiten nutzen und hat eine digitale Schüler-Lehrer-Eltern-Plattform aufgebaut, über die Hausaufgaben, Schulinfos, Krankenmeldungen abgewickelt werden. Im digitalen Klassenraum kommunizieren nur die Lehrer mit den Schülern. Im Fokus der Schule steht die Frage, wo Technik helfen kann, die eigene Arbeit zu erleichtern und auch Arbeitsschritte einzusparen. So soll ein Check-In-System die Nachmittagsbetreuung erleichtern, indem Eltern bei der Abholung bzw. größere Kinder sich selbst aus-checken. Bisher musste ein Lehrer dafür abgestellt werden. Die digitalen Erfahrungen aus der smarten Schule werden auch in der Gemeinde genutzt für digitale Lösungen in der Verwaltung, bei Müllabfuhr und Co. Die Lehrer sind bei den Gemeinden angestellt, was auch einen Wettbewerb zwischen Gemeinden und Schulen bringt. Allein der von uns besuchten Schule arbeiten 96 Lehrkräfte mit 760 Schülern. Kurz gesagt: Wer mehr zahlt und bessere Arbeitsbedingungen bietet, bekommt die besseren Lehrkräfte. Das erhöht wiederum den Druck auf Gemeinden, die finanziell und organisatorisch nicht mithalten können.
In der Gemeinde Nacka mit etwa 110.000 Einwohnern trafen wir Bürgermeister Mats Gerdau im Rathaus. Die dynamisch wachsende Gemeinde, nur 10 Kilometer östlich des Stockholmer Stadtzentrums hat große Ziele. Sie will die „Beste Gemeinde Schwedens“ werden und hat bereits 2022 den Gemeindepreis „Qualitätsgemeinde Schwedens“ erhalten. Vom kommunalen Budget von 9 Milliarden Kronen (rund 800 Millionen Euro) geht die Hälfte in 27 öffentliche Schulen und 40 Vorschulen. Die Gemeinde plant großangelegt nachhaltige Wohngebiete, die in den kommenden Jahren entstehen. Der direkte U-Bahn-Anschluss ans Stockholmer U-Bahn-Netz sorgt nicht nur für 2.000 neue Einwohner im Jahr, sondern bringt auch täglich 3 neu gegründete Unternehmen in der Stadt. Die langfristigen Bauprojekte werden anhand eines großen Modells im neuen Einkaufszentrum präsentiert und sind damit für jeden öffentlich einsehbar.
Bereits zur Tradition geworden ist auch ein Besuch in der österreichischen Botschaft. Dieses Mal wurden wir von Botschafterin Doris Danler empfangen. Zum Abschluss besichtigten wir noch einen neuen Stadtteil in Stockholm. Im größten Stadtplanungsprojekt Europas will man 12.000 Wohneinheiten und 35.000 Arbeitsplätze errichten. Dabei stehen Nachhaltigkeit und die effiziente Nutzung des Raums im Fokus. So wurden etwa im Boden Leitungen für die Müllentsorgung verlegt, die direkt zum Recycling-Hof führen.
Nicht alles was glänzt ist gold
Bei allen Vorbildprojekten, die wir besichtigen konnten, zeigte der Blick hinter die Kulissen der Gemeinden aber auch eine überbordende Bürokratie, die viele Entwicklungen bremst und auch die Verwaltung lähmt. Wenn nicht engagierte Bürgermeister vorangehen, gibt es eher weniger Veränderungsbereitschaft. Auf die Gemeinden lastet ein großer organisatorischer, personeller und finanzieller Druck. Der Wettbewerb unter den Gemeinden ist groß. Überall fehlen Fachkräfte und die Gemeinden, die es sich leisten können, zahlen mehr. Schulen, die nicht reüssieren und bei Eltern nicht beliebt sind, verlieren Schüler und fallen zurück, was wiederum Auswirkungen auf die Schüler hat. Die Dezentralisierung kommt ab einem gewissen Maß eben auch an seine Grenzen.
-A. STEINER