Mit dieser schonungslosen und zugleich zutreffenden Erkenntnis ist vor Kurzem der Arbeitskreis für Sozialmedizin (aks), ein von Vorarlberger Ärzten gegründeter Verein, der seit vielen Jahren die Schuluntersuchungen im Pflichtschulbereich organisiert, an die Öffentlichkeit gegangen. Zu wenig Ärzte, Fließbandarbeit, keine zeitgemäßen Untersuchungen: das waren nur einige der Kritikpunkte, die im Zusammenhang mit dem Schularztsystem geäußert wurden.
Wo liegt das Problem?
In Anbetracht dieser Umstände und auch der Tatsache, dass allein im letzten Schuljahr in Vorarlberg gleich 68 Schulen gar keinen Schularzt mehr hatten, wird sich der aks ab dem kommenden Schuljahr aus diesem Tätigkeitsbereich zurückziehen.
Dieser, wie auch schon zahlreiche Hilferufe in der Vergangenheit sollten eigentlich die Politik wachrütteln. Allein die Tatsache, dass lediglich Hochrechnungen und Schätzungen ein ungefähres Bild bieten, wie es um die Kinder- und Jugendgesundheit insgesamt bzw. die Zahngesundheit, das Hör- und Sehvermögen, Entwicklungsdefizite, Krankheitsbilder und auch wie es um Durchimpfungsraten im Speziellen steht, ist im höchsten Maße bedenklich.
Hohe Kosten für nichts?
Derzeit werden jährlich etwa 30 bis 40 Millionen Euro (Gesamtkosten Bund, Länder, Gemeinden) für das Schularztwesen ausgegeben, ohne erkennbaren Mehrwert – weder für den Schüler, für die Eltern, für die Lehrer, für die Gesundheitspolitik noch für die öffentliche Gesundheit insgesamt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig (Kompetenzwirrwarr, Ärztemangel, unzureichende Dokumentation, keine Datenerfassung, keine einheitlichen Untersuchungsmethoden, keine einheitlichen Untersuchungsparameter etc.).
Im Wissen darum, dass dem jährlichen Aufwand für die schulärztlichen Untersuchungen kein sichtbarer Output oder gar Mehrwert gegenübersteht, fordert auch der Österreichische Gemeindebund seit Jahren eine grundlegende Reform des völlig veralteten Schularztsystems und schlägt ein neues Modell der Kinder- und Jugendgesundheit(svorsorge) vor (siehe etwa: Ausgabe Kommunal 12/2019 oder: https://kommunal.at/bei-der-schuelergesundheit-sind-sach-und-hausverstand-gefragt).
Anders als das Schularztsystem, das beide Bereiche abzudecken versucht, differenziert das Modell des Gemeindebundes zwischen der eigentlichen Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorge, die im Wege einer Erweiterung des Mutter-Kind-Passes sichergestellt werden soll, und den tatsächlichen Bedarfen an Schulen, die mittels interdisziplinärer Teams abgedeckt werden.
Was würde der digitale Mutter-Kind-Pass bringen?
Die Kinder- und Jugendgesundheitsvorsorge wäre damit von der Schulgesundheit entkoppelt und würde tatsächlich und nicht nur wie bisher in der Theorie eine regelmäßige, an bestimmte Alterskohorten geknüpfte Untersuchung des Kindes sicherstellen – auf Grundlage eines erweiterten und digitalisierten Mutter-Kind-Passes unter der Verantwortung der Eltern beim vertrauten Hausarzt.
Es wäre daher besonders wichtig, dass mit der derzeit in Verhandlung stehenden Digitalisierung des Mutter-Kind-Passes (zukünftig: Eltern-Kind-Pass) sogleich die Rahmenbedingungen für eine Erweiterung desselben bis zum 14. bzw. 18. Lebensjahr geschaffen werden.
Die alljährlichen schulärztlichen Untersuchungen in der Schule (im „Schularztkammerl“ oder im Turnsaal), die von Schüler- wie auch Elternseite nicht nur als unangenehm, sondern auch als sinnlos bezeichnet werden, wären mit dem Vorschlag des Gemeindebundes Geschichte. Stattdessen sollen an Schulen bedarfsorientiert (!) und unter der Leitung und Administration der Bildungsdirektionen interdisziplinäre Teams zum Einsatz kommen (Ärzte gemeinsam mit anderen nichtärztlichen Berufsbildern wie Sozialarbeiter, Psychologen, Therapeuten).
Die Schulgesundheit soll dabei bedarfs- und projektorientiert sein (Drogenprävention, Ernährungsberatung, Gesundheitsprojekte, Schulpsychologie, Pflegemaßnahmen). Zudem könnten auf Grundlage von anonymen (!) Auswertungen des erweiterten digitalisierten Eltern-Kind-Passes zielgerichtete Maßnahmen getroffen werden (Gesundheitsschwerpunkte, Aufklärungs- und Informationskampagnen, Präventionsprogramme).
-B. HAUBENBERGER
Über den Autor
Bernhard Haubenberger ist Fachreferent beim Österreichischen Gemeindebund.